Süddeutsche Zeitung

Konzert:Zur Sache, Ludwig!

Die Henschels lassen es beim Orff-Fest im Duo und im Quartett mit Beethoven krachen

Von Reinhard Palmer, Andechs

Das Henschel Quartett hat es geschafft, sich seit dem ersten Wechsel in der zweiten Violine vor zehn Jahren allmählich neu zu erfinden. 2019 übernahm Teresa la Cour den Platz von Daniel Bell, der zuvor Markus Henschel abgelöst hatte. Freilich ist der feinsinnige, kultivierte Ensembleklang weiterhin Programm. Doch das Quartett entschied sich offenbar für mehr Emotion und gegen Tabus. Es darf mit großer Energie, ja schon mal Aggressivität ordentlich zur Sache gehen. Das ist mitreißend und packend und kommt gut an.

Christoph Henschel (Violine) und Margarita Oganesjan (Klavier) exerzierten diesen Zugriff am zweiten Tag des Orff-Festivals im Andechser Florianstadel in der Kreutzersonate op. 47 von Beethoven vor. Was bei einem Stück mit dem Originaltitel "Sonata per il Pianoforte ed un Violino obligato, scritta in uno stilo molto concertante quasi come d'un Concerto" vom Komponisten wohl kaum anders gemeint gewesen sein kann. Schon in der Einleitung suchte das Duo die große Geste, was geradezu theatralisch für Spannung und ein vibrierendes Eingangs-Presto sorgte. Im Laufe des Satzes gewann die Ruhelosigkeit an Schärfe, wohltuend kontrastiert mit dem elegischen Gesang des Seitenthemas.

In den Variationen des Andante-Themas, das als empfindsamer Gesang Raum für Steigerungen öffnet, fanden die Musiker reiche Gestaltungsmöglichkeiten. Raffiniert hatte Beethoven die Violine, aus deren fragmentierten Motiven sich allmählich ein Tremolo-Thema herausbildet, auch mal in die Begleitung verbannt. Bedauerlich für die aufgebaute Spannung war: Henschel riss die hohe E-Saite.

Neu bespannt ging es danach konzentriert weiter. Geradezu befreiend galoppierte das Duo schließlich im Presto-Finale davon, von den schönmelodischen Rücknahmen kaum aufzuhalten. Nachhaltige Wirkung hinterließ das Finale, das Oganesjan und Henschel schon sehr früh ins Auge fassten. Sorgsam bereiteten sie dabei das Schlussfeuerwerk vor.

Die Atmosphäre blieb aufgeladen, um Beethovens "Quartetto serioso" f-Moll op. 95 einen hochdramatischen Einstieg zu ermöglichen. Nachdem die französischen Truppen Napoleons 1809 Wien belagert und eingenommen hatten, litt Beethoven unter dem ihn umgebenden Leid. Und dann scheiterte auch noch sein Heiratsantrag an Therese Malfatti. Kein Wunder, dass in diesem anschließend komponierten Werk keine heitere Stimmung aufkommt. Das Henschel Quartett verstand es, das Wechselbad der Gefühle, das der verzweifelte Eigenbrötler durchlitt, in einem entschiedenen Auf und Ab der musikalischen Ausprägungen überzeugend abzubilden. Selbst im langsamen Satz fanden die vier Musiker reichlich Reibungen, die als solche auch das Klangbild stören durften, bevor das Quartett in der düsteren Fuge wieder mit transparenter Stimmführung zu wunderbarer Balance zurückkehrte. Zarte Melodik, wie sie Beethoven sonst in den langsamen Sätzen herzauberte, gab es im Grunde nur im Trio des nachfolgenden Allegro-Scherzos, das allerdings weder heiter noch vergnügt daherkam. Das Quartett knüpfte in Spannung und Dramatik vielmehr an den Kopfsatz an, um dann im dreiteiligen Schlusssatz rhythmisierte Ruhelosigkeit und Impulsivität draufzusetzen. Diese Dramaturgie verfehlte ihre Wirkung nicht: Das Ensemble inszenierte nach einer hastenden Stretta ein Feuerwerksfinale, das selbst das der vorhergehenden Sonate überbot. Ein schlüssiger Bogen, der nur mit seinem Anfangsstück seine Mühe hatte: Oganesjan und Lika Bibileishvili interpretierten schwungvoll und präzis erneut den Gassenhauer von Orff und Gunild Keetman, diesmal in der vierhändigen Klavierfassung. Ein Verlegenheitsakt, der nicht so recht ins Programm passen wollte.

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SZ vom 29.07.2020
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