Konzert:Üppige Ernte

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Alles andere als ein Studentenkonzert: Louis Vandory, Valerie Steenken, Elisabeth Buchner, Amrei Bohn, Valentin Lutter, Lina Bohn, Luisa Wehrmann und Mischa Nodel (von links) bei ihrem frenetisch beklatschten Auftritt in der Christuskirche Gauting. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das um zwei Gäste erweiterte Odeon-Sextett beweist in Gauting, auf welch hohem Niveau Musikhochschul-Studenten spielen. Das Ensemble beeindruckt durch Musizierlust und seine Kunst der Differenzierung

Von Reinhard Palmer, Gauting

Mit so vielen Besuchern hatte der evangelische Kirchenmusikverein Gauting offenbar gar nicht gerechnet. Seine Helfer mussten Programmzettel nachkopieren. Aber schließlich gibt es in diesem Ort eine veritable Kammermusik-Tradition. Zudem dürften die eifrigen Konzertgänger aus dem Landkreis den ein oder andere Namen im Odeon-Sextett kennen, das um zwei Bratschen erweitert worden war: Valerie Steenken zum Beispiel, die Primaria des Sextetts, die zuletzt beim Konzert im Rahmen der Musikferien mit Julia Fischer in Starnberg zu hören war. Ebenso Louis Vandory, der in der Schlossberghalle Bratsche gespielt hatte, aber auch schon in Gilching mit der Pianistin Caroline Bergius ein Geigenrezital gab.

Hier in der Christuskirche griff er wie Mischa Nodel zu beiden Instrumenten und führte das Oktett als virtuoser Primarius sicher durch Mendelssohns Es-Dur-Werk op. 20. Luisa Wehrmann (Violine), Amrei Bohn und Valentin Lutter (Violoncelli) sowie Lina Bohn und Elisabeth Buchner als Gäste des Sextetts an den Bratschen ergänzten die beherzte Besetzung, die alles andere als zaghaft zur Sache ging. Orchestererfahren nahmen sich die acht jungen Musiker mit sinnenfreudiger Musizierlust der Werke an, vermochten sich aber auch l zurückzuziehen, ohne an Spannung zu verlieren.

Auch wenn die Musiker noch ihre Ausbildung an der Musikhochschule absolvieren, bekam das Gautinger Publikum keinesfalls so etwas wie ein Studentenkonzert zu hören. Die Plastizität, mit der die acht Instrumentalisten etwa den Kopfsatz durchmodellierten und einer packenden Dramaturgie folgend eine Berg- und Talfahrt der Emotionen zwischen wuchtig-satten Klangfluten und lyrisch-melancholischem Sinnieren entwarfen, bezeugte nicht nur technisches Können, sondern eine ausgeprägte Musikalität und ein unbeirrbares Gespür für austarierte Klangwirkung. Mendelssohns Oktett bot aber auch mit Goethes Walpurgisnacht-Szene aus dem ersten Teil des "Faust" als Grundlage eine Menge Stoff für eine überbordende Differenzierung, zumal komponiert von einem 16-Jährigen, der erst noch von sich überzeugen musste. Die Gegenüberstellung zum 50-jährigen Tschaikowski, der in seinem Streichsextett d-Moll op. 70 in nur 17 Tagen seine Erinnerungen an Florenz (daher der Untertitel "Souvenir de Florence") verarbeitet hatte, machte den Erfahrungsunterschied deutlich.

Beide Werke sind viersätzig und in der Satzabfolge ähnlich angelegt. Doch Tschaikowskis Wogen zeigt sich geschmeidiger, durchwirkt von prägnanten Themen und Motiven, die den Sätzen strukturelle Klarheit verleihen, zumal das Odeon-Sextett es verstand, den Streichersatz transparent aufzufächern.

Die wunderbare Adagio-Kantilene eines Gondoliere über Pizzicato-Begleitung nach italienischer Art betörte mit ihrer Innigkeit. Und das dunkle Temperament des Allegretto mutierte mit seinem ausgelassenen Tanz zu einem wilden Ritt voller Leidenschaft. Das filigrane Pizzicato-Finale des Satzes erinnerte aber durchaus an den wunderbar ätherisch wirbelnden Elfenspuk im Scherzo des Mendelssohn-Oktetts. Ein heiterer Tanz fand sich auch darin.

Trotz der Analogie hatten die jungen Musiker aber keine Mühe, zwischen Geisterhaftem bei Mendelssohn und Visionärem bei Tschaikowski zu unterscheiden. Ebenso differenziert erklang das geheimnisvoll vibrierende Moderato des langsamen Satzes bei Tschaikowski - als Spannungsaufbau für das nachfolgende russisch-hymnische Thema. Das Ensemble hatte die Dramaturgie nun mal im Griff und unterschied minutiös aus der Werksubstanz heraus. So viel Sicherheit kommt nicht von ungefähr. Immerhin heißen die Lehrer der jungen Musiker Julia Fischer, Lena Neudauer, Maximilian Hornung, Daniel Nodel, Katalin Rootering und Roland Glassl. Was gewiss der Schlüssel für die überraschende kammermusikalische Gewandtheit war, die der Thematik des Abends "Vom Ernten und Danken" eine zweite Bedeutung gab.

Der Text vom Kapuziner und Franz-von-Assisi-Deuter Anton Rotzetter, den Pfarrer Klaus Firnschild-Steuer in der Gautinger Christuskirche las, ermutigte zur intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt - "Die Dinge sind Bedeutungsträger. Was letztendlich die Komponisten der ausgewählten Musikliteratur schon eindringlich vorgemacht hatten. Für deren Auslegung ernteten die Interpreten indes frenetische Ovationen.

© SZ vom 07.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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