Konzert:Sorgsame Eroberung

Weßling Pfarrstadel, Konzert

Mit Spannung und Bedacht: Pianist Chris Gall und Saxophonist Mulo Francel bei ihrem Auftritt im Pfarrstadel.

(Foto: Georgine Treybal)

Mulo Francel und Chris Gall von "Quadro Nuevo" geben einen Duoabend im Pfarrstadel Weßling

Von Reinhard Palmer, Weßling

Mit Klassik klappt es nicht mehr so recht, den Weßlinger Pfarrstadel zum Brummen zu bringen, wie es noch vor wenigen Jahren fast selbstverständlich war. Höchstens mit Lokalgrößen. Der Verein Unser Dorf kann sich noch so anstrengen: Den Saal kriegen die emsigen Macher nur mit U-Musik voll. Etwa mit Jazz. Und wenn der Saxophonist und Klarinettist Mulo Francel und der Pianist Chris Gall kommen, herrscht sogar Ausnahmezustand.

An vergangenen Samstag war das Haus denn auch ausverkauft. Schließlich sind die beiden Musiker - nicht nur mit der Formation Quadro Nuevo international bekannt - längst schon Selbstläufer an den Konzertkassen, ganz gleich, mit welcher ihrer vielen Formationen und Konstellationen sie auftauchen. Im Duo geht es um ausgesprochen kammermusikalische Qualitäten, bei denen auch spieltechnische Finesse eine wichtige Rolle spielen. Denn wie bei Quadro Nuevo basiert der Erfolg des Duos auf klangsinnlicher Vielfalt, auf hingebungsvollem Ausdruck, packender Dramaturgie und fesselnder Erzählweise.

Das ist schnell erkannt, doch für die Musiker schwer, in dieser Klarheit zu realisieren. Die Stücke, teils Standards - "In your own sweet Way" von Dave Brubeck, "Vou te contar" (Wave) vom Brasilianer Antônio Carlos Jobim oder "East of the sun and west of the moon" von Brooks Bowman -, teils eigene Kompositionen, sind bisweilen einfach konzipiert: Ein transparentes harmonisches Grundgerüst trägt ein schlichtes Thema, meist eine kantable Melodie. Eine transparente Konstruktion, die aber nicht per se anspricht und begeistert.

Dass sie das dennoch tat, lag vor allem an der Interpretation der beiden meisterhaften Instrumentalisten, die ihr Spiel mit viel Emotion, Hingabe, Atmosphäre und musikalischer Schönheit aufluden. Darin macht sich die Vorliebe der Musiker für die orientalische Kultur bemerkbar. Folkloristischer Farbenreichtum und rhapsodische Erzählweise: Beides haben die Musiker oft genug an Ort und Stelle studiert und auch im Zusammenspiel mit dortigen Musikern erprobt. Und sie verstehen es, diese sinnlichen Qualitäten auf ihre eigene Musik zu übertragen. So etwa in "Die sieben Weisen" vom Quadro-Nuevo-Hörbuch "Goethes persische Reise", wo Soundscapes von der Bassklarinette mit sinnlicher Wärme veredelt wurden und ein vorantreibendes, groovendes Ostinato den melodischen Gesang abheben ließ.

Das Duo kommt ohne Vokalpart aus, doch nicht ohne verbale Erzählung. Gerade beim Thema "Mythos" gab es viel zu sagen, denn hinter jeder Musik steht fast immer eine klassisch-mythologische Geschichte. Hier outeten sich die beiden Musiker als passionierte Cineasten, die es vorziehen, ihre Themen aus bildlicher Verarbeitung zu beziehen. Mit Ausnahme von Purcells Oper "Dido und Aeneas", wo es um die von den Göttern missbilligte Liebe zwischen dem aus Troja geflüchteten Helden und der nordafrikanischen Königin von Karthago geht. Die Abschiedsarie rief nostalgische Erinnerungen und Melancholie auf den Plan. Szenische Darstellungen inspirieren die Musiker immer wieder zu neuen Inszenierungen, in denen sie sich virtuos zu bewegen verstehen.

Aber auch wenn alles so einfühlsam und expressiv wirkt, ist nicht nur das Bauchgefühl an der Dramaturgie beteiligt. Seit Jahrzehnten schon entwickeln die beiden Musiker ihre Stücke auf vielfältigen Erfahrungen basierend mit sehr präzisen dramaturgischen Verläufen, für deren Entfaltung sie sich viel Zeit nehmen. Nichts wird überstürzt. Alles wird sorgsam erobert und auf einen wirksamen Effekt hin ausgeformt. Und das bedeutet eben, dass der große Bogen nicht schlicht als eine lineare Entwicklung angelegt ist.

Unerwartete sensible Rücknahmen oder auch satte Ausbrüche sorgen immer wieder für Überraschungen, die erzählerische Spannungsmomente schaffen, andererseits die Wirkung eines stereotypen Ablaufs verhindern. So ist jedes Stück ein Unikat, in dem das weite Repertoire an Ausdruck und spieltechnischer Ausgestaltung zwischen empfindsamer Zartheit und virtuos perlendem Wirbeln von Gall und Francel mit viel Bedacht ausgespielt wurde. Der "São-Paulo-Samba" im Finale tischte nochmal das alles üppig auf, um Euphorie im Schlussapplaus zu schüren. Die beiden Zugaben aus der Volksliedproduktion führten überraschend ins vergeistigte Sinnieren von "Die Gedanken sind frei" und "Ich fahr dahin" (14. Jahrhundert).

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