Süddeutsche Zeitung

Konzert:Reise nach Venedig

Der Pianistenclub München bezaubert mit einer "Romantischen Sommernacht"

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Der Einstieg war schon beeindruckend. Laetitia Hahn, die gerade mit knapp 15 Jahren das Abitur gemacht hat, hätte ursprünglich mit ihrem achtjährigen Bruder die vierhändige Mozartsonate G-Dur KV 381 spielen sollen. Beide Geschwister mit Spitzen-IQ-Werten ausgestattet, bringen ihr Publikum regelmäßig zum Staunen. Verletzungsbedingt musste aber Laetitia Hahn kurzfristig auf solistischen Auftritt umdisponieren und beeindruckte bei der von Heiko Stralendorff konzipierten "Romantischen Sommernacht" des Pianistenclubs München im Sudhaus des Schlosses Seefeld mit einer Rarität. Chopins "Andante spianato et grande Polonaise brillante" op. 22 ist ein Jugendwerk, das mit dem entsprechenden Übermut ausgestattet ist und eine Menge Material zum pianistische Austoben an die Hand gibt. Hahn nahm das Angebot aber behutsam an, ließ es zwar in den Fortissimo-Passagen schon gewaltig donnern, wobei sie mit geradezu zyklopischer Kraft verblüffte. Doch die selbstbewusst auftretende Jungvirtuosin vermochte sich auch einfühlsam zurückzunehmen und empfindsame Melodien klangschön auszuspielen. Hahn ist spieltechnisch mit vielen Finessen ausgestattet. Aber der hochbegabte Teenager kann für sein Alter auch emotionale Hingabe und Ausdrucksnuancierung aufzubringen, wenn ihm auch der entfesselte Donner offensichtlich leichter von der Hand ging.

Der Grad der musikalischen Reife zeigte sich im Vergleich unter den Pianisten des Abends vor allem in der dramaturgischen Schlüssigkeit, die sich von der Literatur her auch gleich komplizierte. Die entspannt moderierende Sylvia Dankesreiter nahm sich Chopins Traum von Italien in Form der venezianischen Barcarolle Fis-Dur op. 60 vor. Chopins und George Sands gemeinsame Italien-Reisepläne von 1845 zerschlugen sich zwar, doch der Komponist nutzte seine imaginative Kraft dazu, musikalisch nach Venedig zu reisen. Dies ist denn wohl auch der Grund für das einfache Strophenlied, das sich zunehmend in den Wellen der venezianischen Kanäle hochschaukelt, wie es Dankesreiter mit satter Substanz klangmalerisch übersetzte und mit Brillanz, Virtuosität und Bravour zunehmend aufbrausen ließ. Chopin tauchte hörbar immer tiefer in seine Venedig-Träume ein.

Dmitrij Romanov stand dieser programmatische Aspekt nicht zur Verfügung. Doch der russische Pianist vermochte deutlich zu machen, dass die reifen Klavierstücke op. 119 von Brahms durchaus Bildhafte und vor allem erzählerische Züge annehmen können. Romanovs empfindsames und feinnuanciertes Spiel spürte viele Details auf, zart rieselnd, verhalten heiter, melancholisch verschattet oder mit wuchtiger Kraft, dass man sich bildhaften Vorstellungen nur schwer entziehen konnte.

Diese Besonderheit ist aber im Grunde die Eigenschaft der Musik der Romantik schlechthin, wie sie auch bei Schumann zu finden ist. Dass der noch recht junge Komponist seine Sonate schließlich mit Fantasie überschrieb, ist ein deutlicher Hinweis darauf. Auch wenn die drei Sätze formal mit der Sonatengattung spielen, stehen doch die Bilder und Klangfarben im Vordergrund. So jedenfalls in der großartigen Interpretation von Yi Lin Jiang. Der 30-jährige Münchner chinesischer Abstammung hatte eine erstklassige Ausbildung genossen und brillierte hier mit spieltechnischer Gewandtheit. Zwischen plastischen Fluten, hochemotionaler Empfindsamkeit, seelentiefem Sinnieren, galoppierender Rhythmik, einfühlsamem Gesang, verträumter Melancholie und triumphaler Bravour fand Jiang reichlich Nuancen, eine musikalische Dramaturgie zu entwerfen, die das Publikum auf eine Reise bis in Seelentiefen mitnahm.

Darin bestand der große Unterschied zu der Uraufführung des Abends. Pianist Werner Türk hatte die Gedichtreihe "Tageszeiten" seines Vaters Erich Türk 2017 zu einem intensiven Liederzyklus verarbeitet, den Sopranistin Irene Wetzler-Mittmann fesselnd in Begleitung des Komponisten deklamatorisch eindringlich sang. Türk blieb in den Liedern nah am Text, ging gänzlich von der sprachlichen Rezitation aus. Auch die Stimmungen überließ er der Sprache, die Wetzler-Mittmann allerdings mit Ausdruck zu füllen und melodisch in Fluss zu bringen vermochte. Das romantische Konzept blieb über Gattung, Lyrik, aber auch über Werner Türks Harmonik erhalten.

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SZ vom 09.08.2018
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