Süddeutsche Zeitung

Konzert:Nervenkitzel der besonderen Art

Klarinettist Rolf Weber springt kurzfristig im Weßlinger Pfarrstadel ein

Von Reinhard Palmer, Weßling

Es ist vielfach überliefert, dass Komponisten ihre Werke immer wieder in letzter Minute vollendeten und die Uraufführungen vom Blatt gespielt werden mussten. In einer ähnlichen Situation fand sich der Schweizer Klarinettist aus Wörthsee Rolf Weber. Nicht weil der Cellist und Komponist Graham Waterhouse aus Weßling seine Werke mit noch feuchter Tinte abgeliefert hätte. Daran lag es nicht, denn seine hier im Weßlinger Pfarrstadel zu Gast beim Verein "Unser Dorf" aufgeführten Werke "Vier Esques" und "Concentricities" stammen von 2016 respektive 2019. Weber sprang kurzfristig ein, nachdem drei andere Klarinettisten der Reihe nach abgesagt hatten. Die langjährige Kammermusikpartnerin von Waterhouse, die georgische Pianistin Nino Gurevich, blieb bei ihrer Zusage.

Dass Rolf Weber nur wenige Stunden zur Verfügung hatte, sich mit den teils sehr kniffligen Stücken vertraut zu machen und sie im Ensemblespiel zu proben, konnte man letztendlich nur an der hoch konzentrierten Anspannung des Staatsorchestermusikers ablesen. Klar, die feinsinnige Lockerheit und pfiffige Gewandtheit, die man in den Variationen des Gassenhauers von Beethoven im Klarinettentrio op. 11 zu Beginn des Konzerts hören konnte, war in so kurzer Zeit nicht immer zu erreichen. Bei den dem Trio vertrauten Werken, dem "Abendlied" und der "Rumänischen Melodie" aus den Fantasiestücken op. 83 von Max Bruch, konnte man dennoch über eine wunderbare Balance und einhellige Ausdruckskraft im Ensemblespiel staunen. Zumal mit einer einfühlsamen Nino Gurevich, die dem warmen Kolorit von Klarinette und Violoncello die adäquate Basis zu unterlegen vermochte.

Der Reichtum im Variieren des Rahmenprogramms ergab im Kontext seinen Sinn. Denn die beiden Werke von Waterhouse waren jeweils Reihen von Charakterstücken, die all die Ausdrucksvarianten auf kleinstem Raum komprimierten und mit bisweilen fasst angriffslustiger Intensität zuspitzten. "In der Manier von" zu komponieren, reizte schon viele Meister der Musikgeschichte. Die Titel "Klezmeresque", "Grotesque", "Statuesque" und "Joplinesque" fasste Waterhouse mit Augenzwinkern unter dem Oberbegriff "Esques" zusammen. Einst für seinen Sohn gedacht, konzentriert sich jedes der Stücke für Violoncello und Klavier auf einen konkreten Ausdruck, der jeweils auch bestimmte Spielarten verlangt. Hier rhythmisch pointiert im Spiccato, da im Ringen der Instrumente gegeneinander versetzt, dann auch gewichtig monumentalisiert bis schließlich beschwingt synkopiert: Waterhouses Spiel fesselte mit tiefsinniger Hingabe. Weber hatte dann die technisch Anspruchsvolleren Stücke unter dem Titel "Concentricities" mit zu stemmen.

Wie schon der Titel verrät, ging es in jedem Szenario um konzentrische Kreisbewegungen verschiedenster Art. Verbal leicht zu beschreiben und optisch nachvollziehbar. Aber was man sehenden Auges klar erkennen kann, ist nicht immer leicht, rein akustisch umzusetzen. Etwa nach einem schwirrenden Start das segelnde Kreisen eines Raubvogels in "Birds of Prey". Noch schwerer die kreisförmige Chronologie in der Entwicklung einer Stadt in "Cityscapes": klotzig gebaut und mit Ruhelosigkeit belebt. Die asiatische Kontemplation der "Pagoda" bog Waterhouse leicht ins Groteske ab, was dem Ensemble mit viel Fingerspitzengefühl auch mit Pfiff umzusetzen gelang. Wie sich das anhört, wenn ins sanft wiegende Wasser ein Stein fällt, um Wellen in konzentrischen Kreisen nach außen wandern zu lassen, erzählte "Oscillation" in malerischer Weise. Schwieriger wurde es in "Stone Circle", wo vorgeschichtliche Steinkreise in ihrer monumentalen Form hörbar werden sollten. Das Ensemble setzte dies mit bisweilen sperrigem Minimalismus um, statisch um sich kreisend. Selbst im virtuosen Finale verriet am Spiel des Trios dennoch nichts, dass hier ein hochriskantes Unternehmen über die Bühne ging.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2021
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