Das Requiem von Mozart ist nicht von Mozart, das ist geklärt. Als es vollendet wurde, war Mozart längst tot. Aber: Das bereits Zu-Papier-Gebrachte und die Skizzen von Themen und Stimmendisposition sind so stark und klar Mozarts Handschrift, dass den Vollendern wohl wenig Spielraum blieb. Mozarts Ideen behaupteten sich gegen unpassende Fremdeinwirkung. Das wurde bei der Aufführung des Requiems in der Fassung von Heinrich Ritter von Spengel mit Streichsextett und dem Volumen verleihenden Orgelpositiv, die im Gautinger Bosco erstmals wieder nach möglicherweise 150 Jahren erklang, durchaus deutlich.
Trotz der sonst nicht gar so meisterlichen Bearbeitung deckt die reduzierte Fassung Feinheiten auf, die klar auf Mozart verweisen. Zumal der Herausgeber der Neuausgabe, Johannes X. Schachtner, am Pult vor dem Kammerchor des collegium:bratananium die bisweilen kammermusikalische Charakteristik zum Anlass nahm, reich und feinsinnig zu differenzieren. Im Grunde ist die Interpretation dieses Requiems ja immer ein Aufspüren Mozarts im vorgegebenen Material. Große Musik ist es immer, unabhängig von der Größe des Ensembles.
In dem Konzert standen Bearbeitungen im Fokus. Das Genre gehörte einst zur alltäglichen Praxis und war nebenbei ein Marketing-Instrument für Verlage, das breiteren Absatz ermöglichte. Aber es ist auch eine Kunst, die man als eine interpretierende verstehen muss, wie sie etwa auch im Theater mit Neuinszenierungen üblich ist. Der Münchner Komponist Rudi Spring nahm sich des Chorals "Aus tiefer Not schrei ich zu dir" von Martin Luther an, um ausgehend vom homophonen, hymnischen Thema im Unisono-Gesang ein immer intensiveres, polyphones Flehen zu entfachen. A cappella war die Eindringlichkeit in der Uraufführung groß und intensiv, sie erfuhr in der harmonischen, rhythmischen und farblichen Steigerung, die in Springs Chorsatz sehr behutsam angelegt ist, seelentiefen Ausdruck. Paul Johansens Grieg-Bearbeitung "Requiem aeternam" aus der Schauspielmusik von Peer Gynt ging einen ähnlichen Weg. Schachtner fand in Johansens Material eine Dramaturgie, die mithilfe wechselnder Stimmenkombinationen einen ganz neuen musikalischen Inhalt offenbarte - nun dem Introitus-Text "Requiem aeternam" adäquat. Die rein instrumentale Bearbeitung führte auch im Kleinen den Beweis für die Selbstbehauptung mozartscher Erfindung. Jonathan Heinrich hatte das Adagio h-Moll - im Original KV 540 für Klavier - einem Streichersextett zugedacht. Hier vollzog sich der Wandel von der dramatischen Einleitung zu einer aufgeheiterten, geradezu galanten Melodik reinster Mozart-Couleur.
Bei seinem Requiem wurde es noch komplexer, denn über den Einsatz des Notenmaterials der Bearbeitung ist offenbar bisher nichts bekannt. Ob die Stimmen solistisch zu besetzen sind oder im Ensemble, ist aus der alten Druckausgabe nicht eindeutig abzuleiten. Die Orgelstimme arbeitete Schachtner selbst für die Neuveröffentlichung aus. Die Einstudierung dieser Version glich also einem Indizienprozess. Worin von Spengel gänzlich von Mozart abwich, war der deutsche Text, eine "sehr freie Nachdichtung" (Schachtner) von Christoph Daniel Ebeling. Dessen Übersetzung des Händel-Messiah (neben der von Klopstock) hatte Mozart auch schon selbst für seine Bearbeitung genutzt. Die Beziehungen sind also vielfältig.
Der Einsatz eines Chores hat den Vorteil, solistisch besetzte Passagen effektvoller inszenieren zu können. Der Gautinger Kammerchor behielt zudem die kammermusikalische Veredelung auch an Forte-Stellen bei. Dank seiner Disziplin konnte Schachtner selbst scharfe Rhythmisierung sauber umsetzen. Susanne Kapfer (Sopran), Claudia Borchert (Alt), Anselm Sibig (Tenor) und Marc Kaufmann (Bass) waren zwar im Stimmvermögen wie im Ausbalancieren kein homogenes Solistenensemble, doch in der warmen, lyrischen Färbung bestand Einhelligkeit, was die Konsistenz der Interpretation wahrte. So verfehlte das Mozart-Requiem seine imposante Wirkung nicht.