Konzert im Gymnasium Gilching:Der irre Captain und der Wal

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Lieblich bis düster: Das Blasorchester in großsymphonischer Aufstellung kann in der Aula des Gilchinger Gymnasiums alle Register ziehen. (Foto: Georgine Treybal)

Stehende Ovationen für das Akademische Blasorchester mit "Moby-Dick"

Von Reinhard Palmer, Gilching

Es ist eine spannende Abenteuergeschichte. Das auch. Dass sich jedoch so viele Künstler, Komponisten und Regisseure des Stoffs aus dem Roman "Moby-Dick" von Herman Melville angenommen haben, liegt vielmehr in seinem metaphorisch-allegorischen Gehalt. Der Plot vom psychopathischen Walfänger und dem mörderischen weißen Wal ist voller Dramatik und Leidenschaft. Doch das ist nur die Oberfläche. "Für Melville symbolisierte sich in der Auseinandersetzung Ahabs mit Moby Dick ein Menschheitskampf, wie er seit der Auflehnung Adams, des alttestamentarischen Königs Ahab, Byrons Kain, Miltons Satan vom souveränen, seiner selbst bewussten, dem königlichen Menschen geführt worden war", schrieb die Literaturwissenschaftlerin Marianne Kesting.

Kein Wunder also, dass die musikalischen Auseinandersetzungen mit diesem Thema so intensiv und vielschichtig sind, zudem eine enorme Bandbreite an Emotionen vermitteln. Nicht zuletzt wohl deshalb griff der musikalische Leiter Michael Kummer die Thematik mit seinem Akademischen Blasorchester München auf. In der Musik war die philosophische Ebene stets vordergründig präsent, vor allem im Höhepunkt des ungewöhnlichen Literaturkonzerts in der Aula des Gymnasiums Gilching mit der Komposition "Ahab!" von Stephen Melillo aus dem Jahr 1992.

Die ausgewählte Passage aus Melvilles Roman ist zunächst ein leidenschaftlicher Monolog des Captain und bewegt sich auf ergreifende Weise zwischen philosophischer Weisheit und leidenschaftlichem Wahnsinn. Eine Rede, wie sie auch ein psychisch angeschlagener Faust von Goethe hätte halten können, zumal Stephan Ametsbichler - Musikwissenschaftler, Klarinettist, Kapellmeister, Arrangeur und Rundfunksprecher - mit seinem halbszenischen Textvortrag in diesem Melodram mit Überzeugungskraft nicht sparte. Hier konnte das Blasorchester in großsymphonischer Aufstellung alle Register ziehen, die da von lieblichen Melodien, über Klangmalereien bis hin zu düsterem Pathos wie weiser Erhabenheit reichten.

Eine andere Perspektive - die des Matrosen Ishmael - gab der Text vom Anfang des Romans der Komposition "Of Sailors and Whales" von 1990 von William Francis McBeth her, den Ametsbichler noch entspannter, dennoch fesselnd erzählen konnte. Das fünfsätzige Werk stellt die Protagonisten Melvilles mit jeweils klarer Charakterisierung vor, im dramatischen Höhepunkt Ahab in monumentaler Spannung, gefolgt von der hymnischen Erscheinung des "The White Whale", mystisch und majestätisch. Ein symphonisches Blasorchester verfügt über eine ungewöhnlich reiche Farbigkeit und dynamische Möglichkeiten zwischen zartester Lyrik in stimmungsvoller Breite bis hin zu mächtig groovendem Powerplay. So fielen diese Ausprägungen weit deutlicher aus, als es mit Streichern möglich wäre, zumal beim Akademischen Blasorchester kaum ein Instrument fehlt und darüber hinaus eine mächtige Schlagwerksektion eine kernige Unterlage wie magische Effekte beizufügen vermag.

Der US-Amerikaner Melillo war wohl der einzige Komponist des Abends, der sich auch mit Filmmusik befasst hatte. Dennoch waren alle Werke im Programm nicht zuletzt ihrer programmatischen Hintergründe wegen bildhaft und narrativ konzipiert. Von Anfang an ging es im Programm um große Szenarien und gewichtige Ereignisse. "The Ghost Ship" von 2017 des Spaniers José Alberto Pina erzählte gar eine wahre Geschichte. Die eines 1939 gebauten Passagierschiffs, das sich 1994 als SS American Star im Sturm von den Schleppseilen riss und vor Fuerteventura strandete. Die gespenstische Musik hätte nicht bildhafter sein können. Ähnlich dem bedrohlichen Gemälde "The Winds and Waves of Wajima" von Alfred Reed aus dessen "Seventh Suite for Band", das sich aber sogleich mit einer sanglichen Melodie versöhnlich zeigte - klangschön und einfühlsam, mit einem wogenden Harfenpart versehen, der allerdings am Keyboard simuliert werden musste.

Wie Reed war auch Melillo ein Meister der Kompositionen für Blasorchester, denen in den USA allerdings ein weitaus höherer Stellenwert beigemessen wird als in Deutschland, wo man Blasmusik in erster Linie mit Volksmusik assoziiert. Wie reich und feinsinnig Bläser gestalten können, führte das Akademische Blasorchester mit Melillos "Under Cover of Night" und "Into the Light of Day!" feinsinnig differenziert vor. Frenetisch-stehende Ovationen blieben nicht aus.

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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