Konzert:Große Kammermusik

Gauting Bosco Pavel Haas Quartett

Substanz sogar im zarten Pianissimo: Veronika Jarůšková, Marek Zwiebel und Peter Jarůšek (v.li.) vom Pavel Haas Quartet.

(Foto: Nila Thiel)

Das Pavel Haas Quartet begeistert das Publikum im Bosco mit Interpretationen auf höchstem Niveau

Von Reinhard Palmer, Gauting

Kammermusik hat in Tschechien eine lange und auch prominent besetzte Tradition, was die Komposition wie auch die Interpretation betrifft. Die legendären Ensembles wie Smetana-, Böhmisches- (später Tschechisches) oder Ševčík-Lhotský Quartett sind bis heute wohlklingende Namen. Und auch in Tschechien entdecken die jüngeren Generationen wieder das Fach für sich und bringen laufend vor allem großartige Quartette hervor wie Bennewitz, Suk, Vlach oder Pražák. Zu dieser mittlerweile weltweit konzertierenden Elite gehört das preisgekrönte Pavel Haas Quartet, das nun dem Publikum im Gautinger Bosco ein bleibendes Musikerlebnis bescherte.

Das Spiel dieses Ensembles basiert zunächst auf grandioser instrumentaler Beherrschung, vor allem in Hinsicht auf den Bogenstrich. Die vier Musiker haben die leisesten Bereiche für sich erschlossen, die selbst noch im zarten pianissimo piano klanglich nuanciert werden und auch warme, runde Substanz entwickeln. Die Präzision in der Gestaltung eines jeden Tons, die Exaktheit im Zusammenspiel, ja selbst rhythmische Schärfe lassen sogar in den weiten Rücknahmen nicht nach, was für höchste Klarheit und Transparenz sorgt.

Für den großen, symphonischen Bereich bleibt da viel Platz. Mit diesem üppigen Material Schuberts Rosamunde-Quartett (a-Moll, D 804) zu interpretieren, bedeutete denn auch, die innigsten Empfindungen und feinsten Details nicht nur hörbar zu machen, sondern auch in einen schlüssigen Kontext zu bringen. Wobei die Dramaturgie vom ersten bis zum letzten Ton in inhaltlicher wie musikalischer Hinsicht nichts zu viel und nichts zu wenig beinhaltete. Von Schuberts Aussage, er habe sich mit den Streichquartetten - es hätten drei werden sollen - den Zugang zur Sinfonie bahnen wollen, ließ sich das Ensemble nicht beirren. Ob Schubert damit mehr Substanz und satteren Klang meinte, oder doch eher die innere Größe anvisierte, die das Pavel Haas Quartet zweifelsohne aufspürte, bleibt offen. An orchestralem Reichtum der Klangnuancen fehlte es in der Interpretation des tschechischen Ensembles jedenfalls nicht. Die fülligen, sinfonischen Öffnungen blieben allerdings zurückhaltend, betrafen vielmehr Ausdruck und Empfindung von Größe als tatsächlich Lautstärke und Volumen. So vermochte das Ensemble den sinfonischen Gedanken in feinste kammermusikalische Ausprägungen verwandeln.

Schostakowitschs Streichquartette hört man nicht selten in einer falsch verstandenen Modernität, die sich meist in Aggressivität äußert. Sein op. 108 fis-Moll von 1960 bietet dafür - vor allem in der Schlussfuge - auch reichlich Möglichkeiten. Doch das Pavel Haas Quartet ließ sich vom Augenscheinlichen nicht zum falschen Aktionismus hinreißen. Der Komponist gedachte mit diesem Werk seiner verstorbenen ersten Frau zu ihrem 50. Geburtstag, was ihm Anlass zum wehmütigen Sinnieren gab. Als ein leicht schmerzliches Zurückdenken an eine schöne Zeit konnte man denn auch die Auslegung der Tschechen deuten, etwas verträumt, immer wieder zärtlich, manchmal traurig und klagend. Vor allem aber war in dieser philosophierenden Erzählung das Wechselbad der Gefühle absolut nachvollziehbar.

Das traf auch auf das Klavierquintett f-Moll op. 34 von Brahms zu, in dem sich der israelische Pianist Boris Giltburg mit absoluter Hingabe in den Zugriff des Pavel Haas Quartets einfügte. In perlender Präzision und sehr agil entwickelte auch er große klangliche Vielfalt. Dass Clara Schumann ein Orchester als Besetzung des Werkes ins Gespräch brachte, lag an der Gewichtigkeit des musikalischen Materials, das die fünf großartigen Instrumentalisten nun auch mit mehr Fülle ausstatteten, zumal die Instrumentation orchestrale Elemente beinhaltet.

Die Vereinbarkeit mit kammermusikalischer Feinheit, Empfindsamkeit und Präzision sogar in Nuancen war aber auch hier möglich und eröffnete einen schier grenzenlosen Gestaltungsraum, in dem jede Wendung einen neuen Klangkosmos offenbarte. Ovationen waren dem aufregenden Ensemble sicher.

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