Konzert:Der Altmeister in Bestform

Konzert: Wer ist hier der Bandchef? Der Saxophonist? Nein, Gitarrist Karl Ratzer (links), der sich beim Konzert in Gauting zunächst noch zurückhielt.

Wer ist hier der Bandchef? Der Saxophonist? Nein, Gitarrist Karl Ratzer (links), der sich beim Konzert in Gauting zunächst noch zurückhielt.

(Foto: Arlet Ulfers)

Der österreichische Gitarrist Karl Ratzer steigert sich nach anfänglicher Zurückhaltung und spielt mit seinem Quartett doch noch groß im Gautinger Kulturhaus Bosco auf

Von Reinhard Palmer, Gauting

Die musikalische Altersweisheit tendiert zu höchster Effizienz. Das Prinzip leuchtet ein: nicht zu viel und nicht zu wenig, das verheißt maximale Wirkung bei geringstmöglichem Einsatz. Und das schafft nur, wer eine Menge Erfahrung mitbringt und höchste musikalische Reife erlangt hat, denn schließlich muss man wissen, was das Wesentliche ist.

Der 68-jährige Karl Ratzer weiß es längst und konzertiert erfolgreich mit diesem Vorsatz - und sein unvollständiges Quintett pflichtete ihm im Gautinger Bosco vor fast ausverkauftem Saal letztendlich bei. Die weite Bahnanfahrt von Wien ins Würmtal hatte Ratzer offenbar etwas zugesetzt, denn er stieg müde in den Ring. Aber die Musik stellte ihn wieder auf die Beine. Zumal er sich darauf verlassen konnte, dass ihm seine drei großartigen Mitspieler (Posaunist Ed Neumeister war verhindert und kam nicht mit) schon die nötige Starthilfe geben würden. Die Rhythmusmaschinerie tickte denn auch wie eine sündhaft teure Schweizer Uhr, gnadenlos zuverlässig, klangvoll und sauber.

Dass Kontrabassist Peter Herbert einst seine Ausbildung klassisch und am Klavier begann, macht sich in seinem Spiel bis heute bemerkbar. Sein runder Ton und sein ganzheitlicher Ansatz sind eine große Stärke der Truppe, denn Herberts Unterlage steuert die nötige Klangfülle bei. Dennoch verstand er es, eine klare Abgrenzung zum klassischen Instrumentalspiel zu schaffen, und ging am gestrichenen Bass mit mehr Bogendruck derber und ohne Vibrato zu Werke. Howard Curtis, der in Graz Jazz-Drumming lehrt, setzt nicht weniger auf Klangbildung, aber als Ergänzung zu Herbert doch aufs Geräuschhafte fokussiert. Nicht selten ließ er die Trommelfelle nicht mit Einzelschlägen ausschwingen, sondern setzte pointierte Wirbel ein und formte kleine Geräuschwolken auf Trommeln und Becken. Umso scharfkantiger abgegrenzt waren dann die klar exponierten, meist sperrig rhythmisierten Motive, über die Curtis in seinen eigenwilligen Soli aufschlussreiche Variationen erfand.

Karl Ratzer zeigte zunächst keine Ambitionen, sich als Frontmann zu profilieren. Er gab anfangs dem Weilheimer Saxophonisten Johannes Enders den Vortritt, der aber auch mit melodiöser Stimmführung die Weichen für Ratzer stellte - und zugleich dem Blues des Jazzorganisten Larry Young gerecht wurde. Und so allmählich taute der Grandseigneur der Gitarre auf und kam in Fahrt. Vor Dave Brubecks "In Your Sweet Way" nahm Ratzer schon die Mütze ab und schaltete in einen höheren Gang. Bei "Butterfly" wollte ihm die Stimme noch nicht so recht in die Höhen folgen, doch "Love is a splendid thing" klang schon weitaus kraftvoller, untermauert von einem packenden Unisono-Duett von Gitarre und Kontrabass. Solche Unisono-Passagen, so auch zwischen Gitarre und Saxofon etwa in "Blues on the Corner", sorgten immer wieder für rockige Anspielungen, die Ratzer bisweilen dazu animierten, den Lautstärkeregler aufzudrehen und mit wilden Krachern schon mal auch reichlich schräge Töne einzuwerfen. Seine Mitspieler sprangen kurzentschlossen auf den Zug auf, boten doch diese gewollten Entgleisungen Gelegenheit, stärkere Kontraste zu setzen und die Songs so interessanter zu machen.

Dann lebte Ratzer sichtlich auf, und es hielt ihn nichts mehr auf dem Stuhl. Auch wenn er seine wilden Zeiten wohl hinter sich gelassen hat, juckte es ihn offenbar ab und an in den Fingern, wieder groovend abzurocken. In die Pause schickte er das Publikum mit funkiger Energie, im zweiten Set folgte gleich wieder ein kerniger Song. Ratzer war definitiv im Bosco angekommen und zeigte sich entschlossen, auch noch seine Vielseitigkeit vorzuführen. So Beispielsweise mit dem Klassiker "Sweet Lorraine", der nun dem Ausdruck folgend stimmlich reichlich Emotionen weckte. Aber immer in einer lässigen, gänzlich unverkrampften Art. Anfangs war das im Gesang noch allzu sehr an Udo Lindenbergs Nachlässigkeit angelehnt, doch Ratzer wurde zunehmend präziser und kam in "Hallelujah, I Just Love You" von Ray Charles durchaus auf die Höhe der Originalversion. Vor allem aber erreichte Ratzer wieder seine Fingerfertigkeit an der Gitarre, die es ihm erlaubte, filigrane Zaubereien einzuflechten, die sich zwar im reduzierten Rahmen von Kabinettstückchen hielten, aber gerade mit ihrer Präzision schon feinste Effekte erzeugten.

Das Publikum ging mit und wurde für seinen frenetischen Beifall mit einer fulminant beschwingten Zugabe belohnt: "Underground System".

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