Süddeutsche Zeitung

Konzert:Blitz und Donner

Die Orchestervereinigung Gauting glänzt mit Beethoven und Mendelssohn

Von Reinhard Palmer, Gauting

Er hielt sich immer bescheiden im Hintergrund - aber der Orchestervereinigung Gauting auch als Konzertbesucher die Treue. Als Ehrenvorsitzender der Musikfreunde Gauting half Erich Rieger bis zuletzt mit. Am 14. August ist er 85-jährig gestorben. Konzertmeister Ernst Blümner widmete das Herbstkonzert in der Aula der Gautinger Realschule stellvertretend für das ganze Orchester dem einst weltbekannten Astrophysiker, an dessen Verdienste für die Wissenschaft im Rahmen der Forschung am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Gauting sich wohl die wenigsten noch erinnern.

Im Konzert sollte es mit Beethoven und Mendelssohn ausgesprochen irdisch und erdbezogen zugehen. Programmmusik gibt es ja nicht erst seit der Romantik. Schon viel früher entstanden Kompositionen nach bildhaften Vorstellungen. Auch wenn Beethoven in der Sechsten Sinfonie, der "Pastorale", vielleicht nicht von vorne herein mit konkreten Bildern vorzugehen gedachte, sind die klangmalerischen Szenarien dennoch deutlich zu erkennen. Mit den Überschriften der einzelnen Sätze lieferte Beethoven eindeutige Aussagen, die Dorian Keilhack am Pult mit viel Sinn für klangmalerische Wirkungen wörtlich nahm.

Mit der Hebriden-Ouvertüre op. 26 erfand Mendelssohn im Grunde eine neue Gattung: die einer eigenständigen, konzertanten Ouvertüre, die eben kein musiktheatralisches Werk einleitet. Als rein musikalisches Szenario gilt sie daher als Vorläufer der symphonischen Dichtung. Spannend in dem Kontext: Beethoven schuf die Pastorale gut 20 Jahre früher. In der einfühlsam changierenden, mit emotionalen Ausbrüchen pointierten Interpretation der Orchestervereinigung fehlte es dem Werk auch nicht an Poesie. Schon der behutsame, verhaltene Einstieg, aus dem allmählich reiches Kolorit erblühte und sich das "Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande", so die Überschrift, mit nahezu tänzerischer Leichtigkeit entfaltete, war im Grunde nichts anderes als eine symphonische Dichtung. Und die Geschichte war noch lange nicht auserzählt, zumal das Orchester mit Nuancen glänzte, die man ihm noch vor kurzem gar nicht zugetraut hätte. Die "Szene am Bach" verzauberte mit ausbalancierten Klangsphären, aus denen sich das Bild behutsam in seliger Unbeschwertheit entwickelte.

Dieses Changieren, sich über weite Räume Entwickeln und Entfalten, vor allem das Ausbreiten von Atmosphäre war bereits bei Mendelssohn zu hören gewesen. Dort als rein landschaftliche Beschreibung mit allen Witterungsvarianten bis hin zu temperamentvollen Ausbrüchen. Beethovens Symphonie ging darüber hinaus. Sie erzählte im Grunde kleine Episoden, ohne konkrete Ereignisse zu definieren. Das erzählerische Charakterisieren des Orchesters unter Keilhacks inspirierendem Dirigat gab den Hörern dennoch genug Raum, sich konkrete Handlungen vorzustellen. Die tänzerische Beschwingtheit oder das musikantische Poltern in "Lustiges Zusammensein der Landleute" war überreich an konkreten Hinweisen. Das Wechselspiel der Streicher mit Holzbläsern und Horn entwickelte aber auch rein musikalisch reizvolle Effekte.

In "Gewitter. Sturm" konnte das Orchester aus dem vollen schöpfen und sich auch in satter Dramatik üben. Scharf kontrastiert und spannungsgeladen formte Keilhack einen beeindruckenden Höhepunkt der Symphonie. Spätestens hier wurde die Dramaturgie der Interpretation, in der im Grunde alles Vorhergehende auf dieses Gewitter hin abzielte, deutlich nachvollziehbar. Bei Mendelssohn war diese im komprimierten Verlauf leicht zu überschauen. Hier musste sie erspürt werden und Logik über weite Strecken entfalten. Der bleibende Eindruck hängt aber immer auch vom Finale ab, wofür Keilhack eine weit gedehnte Entwicklung vorsah. Die breit fließende Beruhigung nach dem Gewitter mündete in einem festlich-beschwingten "Hirtengesang".

"Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm" inszenierten dann mit blühender Melodik ein immer wieder angedeutetes Finale. Dieser Spannungsaufbau war schon raffiniert, um den eigentlichen Schluss, der von Beethoven überraschend knapp konzipiert ist, dennoch auf den Punkt zu bringen. Ein großartiger Auftritt des Gautinger Orchesters.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2021
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