Süddeutsche Zeitung

Konzert:Befremdliches Konzept, grandios gespielt

In seinem Programm zum Orff-Fest kombiniert Pianist Kit Armstrong den banalen "Gassenhauer" mit Musik von Mozart

Von Reinhard Palmer, Andechs

Nein, man muss nicht alles spielen, nur weil irgendwo Orff drauf steht. Der "Gassenhauer" entstand nach der Komposition von Hans Neusidler von 1536 für das Orffsche Schulwerk, das maßgeblich Orffs Assistentin Gunild Keetman verfasst hatte. Ein Robert Schäfer hat ihn für den Schott-Verlag für Klavier als eine Reihe von Variationen bearbeitet. Eine Spielerei, die zunehmend Virtuosität und Kraft fordert, aber dadurch nicht besser wird. Für den großartigen Pianisten Kit Armstrong war das schon eine Zumutung, zumal beim beschämend schwach besuchten Klavierabend des Carl-Orff-Festes mit brillanten Werken von Mozart im Programm.

Natürlich kann ein Pianist von Weltrang alleine mit seiner Technik, erst recht mit seiner Musikalität auch aus einer Banalität ein mitreißendes Stück machen. Aber inhaltlich blieb das meilenweit hinter Mozart zurück, zu dem ja Orff laut Konzept des diesjährigen Festivals in Beziehung gesetzt werden sollte. Nicht nur was Klavierwerke betrifft (bei Orff nicht existent), ein fragwürdiges Konzept. Mit dem Renaissance-Gassenhauer "Sellinger's Round" von William Byrd in der zweiten Zugabe stellte Armstrong das bekannte Orff-Stück in den Schatten. Erst recht davor mit dem freitonal anmutenden "Uppon La Mi Re" (um 1520) von Thomas Preston.

Aber es ging im Florian-Stadl vor allem um Mozart. Mit den vier Sonaten C-Dur KV 279, B-Dur KV 281, A-Dur KV 331 (Alla Turca) und D-Dur KV 576 sowie der Fantasie c-Moll KV 475 interpretierte Armstrong gewichtige Werke, die ihm reichlich Gelegenheit gaben, seinen pianistischen Fundus an Anschlagstechniken in sehr sensibler Dramaturgie zu demonstrieren.

Alleine gattungsmäßig kam ihm die Fantasie wohl am weitesten entgegen, konnte er doch hier beredt die Freiheit auskosten, ausdrucksstarke und kontrastreiche Bilder herauszuarbeiten, ohne Mozarts schlank perlende Pianistik zu vernachlässigen. Sein Spannungsaufbau fesselte ungemein, zumal es Armstrong verstand, jeden Abschnitt der Fantasie in eine eigene Atmosphäre zu tauchen. Mit Bedacht und stets mit dem Blick aufs Ganze. Das für Mozart so typische Changieren zwischen beherzter Leichtigkeit und verschattet dramatisierter Intensivierung beherrscht Armstrong meisterhaft. Und so nahm er das Publikum mit auf eine Berg- und Tal-Erlebnisfahrt, überaus feinsinnig und raffiniert im Variationskopfsatz der A-Dur-Sonate. Darin zog Armstrong nun alle Register der Differenzierung. Doch sein Gespür für die richtige Dosierung blieb untrüglich und seine empfindsam sangliche Auslegung der melodiösen langsamen Sätze und Passagen schlicht betörend.

Trotz entfesselter Spiellust, die zweifelsohne den kompletten Abend bestimmte, ließ sich Armstrong nicht gehen. Selbst im Alla-Turca-Finale verließ seine Interpretation nie das Spektrum der klangschönen Ausdrucksmittel. Frenetische Ovationen.

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Quelle:
SZ vom 30.07.2019
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