Süddeutsche Zeitung

Konzert:Beethoven und Blue Notes

Lesezeit: 2 min

Beim umjubelten Gastspiel im Schloss Kempfenhausen spielt das Dieter Ilg Trio erneut intelligent mit klassischem Material

Von Reinhard Palmer, Kempfenhausen

Viele haben es gemacht, doch durchschlagend erfolgreich wurden damit nur Wenige, allenfalls das Jacques Loussier Trio oder auch das Modern String Quartet. Die Rede ist vom Verjazzen Ernster Musik. Der Kontrabassist Dieter Ilg geht dabei einen eigenen Weg, einen subtileren in Hinsicht auf die Auswahl des klassischen Ausgangsmaterials, das sich nicht unbedingt per se dafür eignet. Doch nach Verdis Otello und Wagners Parsifal erhielt Ilgs 2015 erschienene CD "Mein Beethoven" ebenfalls den ECHO Jazz. Ein Erfolg, der einer intelligenten, einfühlsamen und theoretisch fundierten Auseinandersetzung Rechnung trägt, an der zurecht als unglücklich angesehenen Grenze zwischen U- und E-Musik. Zweifelsohne kamen im Eröffnungskonzert des 5. Seejazz Festivals im ausverkauften Rittersaal des Schlosses Kempfenhausen sowohl Jazz- wie auch Klassikfans auf ihre Kosten - zumal an Ilgs Projekt zwei auch spieltechnisch hochkarätige Musiker mitwirkten: Rainer Böhm am Klavier sowie der Franzose Patrice Héral am Schlagzeug.

Dieses Ensemble ist deutlich hervorzuheben, da alle Arrangements auf die Gesamtwirkung im Zusammenspiel abzielten. Das machte die herausragende Qualität der jazzigen Beethoven-Auslegungen des Trios aus, das nicht nur auf Themen und Motive einging, sondern auch auf Atmosphäre, Charakter, Effekte und Emotionen. Und dies nicht nur, um mit großen, temperamentvollen Ausbrüchen mitzureißen, sondern gerade auch, um mit zarten, sensiblen Empfindungen zu berühren. So etwa mit der Adagio-Arietta aus Beethovens Klaviersonate op. 111: Beim Hören des süßlich-erhabenen, ja romantischen Originalthemas fiel die Vorstellung einer Jazzvariante schwer. Aber dem Trio gelang es, das Material in eine andere Dimension zu hieven, wo es seine inneren Möglichkeiten offenbarte und in Jazzharmonik nichts an Schönmusikalität einbüßte. Der dramaturgische Aufbau der Jazzversion musste vom Original abrücken, tat dies aber stets mit Bedacht und in einem weit gedehnten Bogen. Das Spiel mit Rhythmusverschiebungen reicherte Héral engmaschig mit der Farbenvielfalt geräuschhafter Perkussion an. Was bei Beethoven so eindeutig erschien, relativierte sich prompt und zeigte sich bereit für Neues, bis hin zu wilden, virtuos hastenden Ausbrüchen, die der finalen Rückkehr zur Ursprungspoetik große Wirkung bescherten.

Dank dieses Vorgehens offenbarte Beethoven selbst schon großes Jazz-Potenzial. Vor allem der Kopfsatz der Sturm-Sonate lieferte mit seiner Dramatik dankbares Material um Atmosphäre und Spannung aufzubauen. Hier fand Ilg zu einem inspirierten Bass-Solo, er konnte aber seine spektakuläre Rhetorik mit technischen Zaubereien erst im Allegro der Pathétique großzügig ausschöpfen, nachdem Héral solistisch in dieses Beethoven-Thema eingeführt hatte: mit einer faszinierenden Handarbeit an den Trommeln beginnend, um dann mit Scat-Gesang der rhythmischen Struktur mehr Atmosphäre, Farbigkeit und Melodik zu verleihen.

Die dankbarste Rolle fiel meist dem Klavier zu. Weil viele Themen aus dem Klavierrepertoire stammten, half das Instrument, das Original musikalisch zu verorten. Aber auch die 9. Symphonie tauchte als harmonische Konstellation auf, die Große Fuge für Streichquartett oder zwei Irische Lieder, die Beethoven mit Klaviertrio-Begleitung konzipiert hatte. Sie zeigten sich dem Jazz gegenüber sehr offen, was Böhm sogar nutzte, um einen astreinen Blues daraus zu entwickeln. Den Kopfsatz der Mondscheinsonate erhielt das frenetisch jubelnde Publikum mit einer Steigerung ins Hymnische als Zugabe.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3629619
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.08.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.