Süddeutsche Zeitung

Konzert:220 Stimmen jubilieren

Beim Auftakt des "Carl-Orff-Fest Andechs & Ammersee" begeistern Chöre, Solisten und Orchester das Publikum in Florian-Stadl

Von Reinhard Palmer, Andechs

Da waren sie wieder zurück im Florian-Stadl, die Carmina Burana von Carl Orff und eröffneten das "Carl-Orff-Fest Andechs & Ammersee". Unter dem Titel "Exsultate" soll in dieser Festivalausgabe Orff zu Mozart in Beziehung gesetzt werden, angeregt durch Orffs Äußerung "Wenn man so alt wird wie ich und sein Leben lang Musik gehört hat, bleibt am Schluss nur noch einer übrig: Mozart!", heißt es im Programmvorwort der beiden Festivalgestalter Wilfried Hiller und Florian Zwipf-Zaharia. Für Alban Beikircher am Pult war die Verbindung zu Orff Grund genug, "Exsultate, Jubilate" KV 165 zu entstauben. Das war umso mehr der richtige Zugriff, da es sich hier um ein Jugendprojekt handelte. Die Junge Philharmonie Oberschwaben, die Beikircher vor elf Jahren gegründet hatte, ist ein spielfreudiges Orchester, das mit Elan, aber auch viel Fingerspitzengefühl an die Materie heranging, bisweilen schon gefährlich nah an seinen Grenzen. Wie immer bestand das Problem nicht in den klangsatten Aufschwüngen, sondern in der fragilen, intonationsschweren Empfindsamkeit. Dieses Wagnis einzugehen, lohnte sich schließlich, zumal Sopranistin Verena Laura Incko mit ihrem souveränen und zugleich einfühlsamen Agieren dem Orchester viel Sicherheit gab. Aber auch Beikircher darin unterstützte, das feinsinnige Changieren des 17-jährigen Mozarts zwischen Lyrik und Dramatik, zwischen Hell und Dunkel mit viel Sinn für Klangfarben und Charaktere herauszuarbeiten. Der ungewöhnlich poetisch-profane Text der erfrischenden Motette, in dem es auch um ein Lied und Freuden geht, rückte Mozarts Werk näher an die Carmina Burana des etwa 40-jährigen Orff, die hier in einer gigantischen Chorbesetzung von etwa 220 Stimmen zu hören war. Kraftvolle, wohlklingende junge Stimmen, die in einer langen Probenzeit zu einer erstaunlichen Homogenität geführt werden konnten. Die Chöre des Carl-Orff-Gymnasium, des Gymnasiums Schrobenhausen, der Chorklassen am Reuchlin-Gymnasium, des Münchner Pestalozzi Gymnasiums, der Kammerchor Viva Voce München sowie die Haager Spatzen konnten aber nicht nur groß und laut, sondern trotz der Vielzahl der Choristen auch leise und empfindsam. Vor allem gelang es den Chorleitern und schließlich Beikircher, die sieben Klangkörper inklusive Orchester selbst in den rhythmisierten Sprechchören präzis beisammen zu halten, ohne Sterilität aufkommen zu lassen. Jedes Wort war hier deutlich zu verstehen. Wie wunderbar geriet das blühend jubilierende und leicht-luftige "Ecce gratum"! Die Männerstimmen schlugen sich trotz deutlicher Unterzahl wacker. Selbst "In taberna quando sumus" groovte es kraftvoll in nahezu bedrohlicher Düsterheit. Die silbrig schillernden Frauenstimmen offenbarten magisches Potenzial.

Nachdem Thomas E. Bauer wegen Stimmbandentzündung absagen musste, sprang der wunderbar sonore und warme US-amerikanische Bariton Raymond Ayers ein. Seine Lyrik sprach mit Wärme und Klangsinnlichkeit an, insbesondere im "Omnia Sol temperat". In den großen Höhepunkten vermochte Ayers aber auch ein beeindruckendes Volumen zu entfalten. Ähnliches galt auch für den Countertenor Johannes Euler, dessen Lamento des gebratenen Schwans in halbszenischem Auftritt zudem theatralische Qualitäten offenbarte. Incko konnte in ihrem Part an Mozart anknüpfen. Das lag vor allem daran, dass sich Beikircher auf die sinnenfreudigen Qualitäten des Werkes konzentrierte. Der Schlusseffekt mit "O Fortuna" hätte nicht beeindruckender inszeniert werden können und löste einen frenetischen Jubel aus.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2019
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