Für die Organisatorin Elisabeth Carr war diese Veranstaltung im Rittersaal des Kempfenhauser Schlosses in mehrfacher Hinsicht eine besondere. Vordringlich, weil sie mit ihr das 20-jährige Bestehen ihrer „KunstRäume am See“ eröffnete. Auch die Kooperation mit dem rein weiblichen Förderverein Inner Wheel Club München Fünfseenland (IWC) fügte sich in besonderer Weise ins Konzept, in dem es unter dem Titel „Frauenstimmen“ um einen Beitrag zur Neuschreibung der Geschichte der Künste unter Beteiligung von Künstlerinnen ging. Dass der Erlös aus dieser Veranstaltung dem „Netz gegen sexuelle Gewalt“ (unabhängig vom Geschlecht) zugutekommt, ist zudem ein persönliches Anliegen Carrs, die dort selbst in ihrer Eigenschaft als Sozialpädagogin und Psychotherapeutin beratend tätig ist.
Inhaltlich bot die Verbindung aus Lesung und Konzert nichts Überraschendes, tauchen doch Kompositionen von Fanny Hensel (geb. Mendelssohn), Clara Schumann und Alma Mahler immer wieder in Konzertprogrammen auf. Lediglich die US-Amerikanerin Amy Beach gehört zumindest hierzulande zu den höchst selten gespielten Komponistinnen. Der Grund für diese geläufige Auswahl im Programm ist aber auch schon ein Teil des Problems: Das Wissen über die Komponistinnen vergangener Epochen ist äußerst spärlich. Gegeben hat es sie schon immer, doch blieb es ihnen untersagt, ihre Werke zu präsentieren, ja meist überhaupt zu komponieren. Sind Kompositionen entstanden, wurden sie selten veröffentlicht und die Autographe gingen mit der Zeit verloren. Nur bei besonderen Umständen, erfuhr die Geschichte davon, bisweilen blieben sogar Werke erhalten, die, wenn unsigniert, allerdings nicht selten den männlichen Kollegen zugeschrieben wurden.
Es wird noch viel wissenschaftliche Expertise nötig sein, Komponistinnen und ihre Werke überhaupt erst zu identifizieren. Hildegard von Bingen gehört übrigens zu den bekannten frühen Frauenstimmen, dann ist aber lange keine konkret fassbar. Gut dokumentiert sind die Komponistinnen aus Mozarts Umkreis, so die blinde musikalische Mehrfachbegabung Maria Theresia Paradis sowie die zeitweise als Mozarts „Assistentin“ tätige Pianistin und Komponistin Josepha Auernhammer. Doch nur wenige Werke aus deren reichhaltigen Produktionen sind erhalten, zeugen dennoch von starken Musikerpersönlichkeiten mit eigener Ausdruckssprache.
Letzteres gilt zweifelsohne auch für die Komponistinnen des Abends, von deren entsetzlichem Los, ihrem innersten Verlangen nach musikalischer Kreation entsagen zu müssen, knapp aber prägnant die Schauspielerin und Pädagogin Martina Seitz berichtete. Tagebücher und Briefe sind meist die Quellen des Wissens darüber, wie sehr die Komponistinnen unter der männlichen Dominanz zu leiden hatten. Etwa dass Felix Mendelssohn die Lieder seiner geliebten Schwester Fanny mit seinem Namen firmierte, um sie veröffentlichen zu können.
Clara Schumann, das frühe pianistische Genie, musste sechseinhalb Ehejahre und vier Geburten überstehen, bis sie ihre Rolle als Hausfrau und Mutter wieder gegen das Dasein als Musikerin tauschen konnte. „Claras Lösung heißt Loslösung“, hieß es dazu. Und das war im Grunde erst nach Roberts Tod möglich. Auch Amy Beach gelang erst nach dem Eheleben so etwas wie eine Karriere als Musikerin. Alma Mahler schaffte es indes nie, aus der von Gustav in einem 20-seitigen Brief formulierten Vorstellungen ihrer Rolle unter gänzlicher Aufgabe der Komposition auszubrechen. Erst ihr Seitensprung mit ihrem späteren Ehemann Walter Gropius brachte Gustav zum Einlenken, doch zu spät. Ihr Schaffensdrang erlag der Verbitterung.

Welch enorme Lücken in der Musikgeschichte klaffen, brachten die Mezzosopranistin Susanne Kelling und die Pianistin sowie Korrepetitorin in Kellings Gesangsklasse an der Münchner Musikhochschule Susanna Klovsky zu Gehör. Mit Liedern und Klavierstücken führten sie die Eigenständigkeit und individuelle Ausprägungen der Komponistinnen vor Ohren. In Hensels Liedern aus op. 7 (1, 5, 6) fiel eine lebendige Verwobenheit der Begleitung mit einem bewegt erzählerischen Gesang. Zumindest im direkten Vergleich mit Felix Mendelssohns pianistischem Lied ohne Worte op. 2/1 und vor allem zwei Liedern aus op. 86 (3, 4) mit klarer Rollenverteilung und eingängiger Melodik.
Auch Clara Schumann bestätigte hier mit komplexen Strukturen und emotional ausgeprägter Dramaturgie der weiblichen Schöpfernatur eine überaus vielschichtige musikalische Denkweise, die es gerade Kellings Part mit einem weit ausgreifenden Ton- wie Ausdrucksspektrum nicht gerade leicht machte. Alma Mahler setzte dem noch das Sahnehäubchen einer verhaltenen Modernität auf, die sowohl Kelling wie auch Klovsky eine größere gestalterische Eigenständigkeit an die Hand gab. Amy Beach passte hier zwar mit ihrer Biografie bestens ins Konzept, fiel jedoch musikalisch mit ihrer Zugehörigkeit zur spätromantisch-amerikanisch geprägten Bostoner Schule deutlich aus dem Rahmen. Bestätigte aber, dass die Neuschreibung der Musikgeschichte weltweit nötig ist.