Musik aus einem Gartenhaus:Farbig, rhythmisch, sinnenfreudig

Musik aus einem Gartenhaus: Die Komponistin Dorothee Eberhardt arbeitet am liebsten in ihrem Gartenhaus in Gilching.

Die Komponistin Dorothee Eberhardt arbeitet am liebsten in ihrem Gartenhaus in Gilching.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Gilchinger Komponistin Dorothee Eberhardt hat in Tübingen Griechisch und in London Musikwissenschaft studiert. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, zwei davon sind am Samstag zu hören.

Von Reinhard Palmer

"Man hört es nicht heraus, ob ein Mann oder eine Frau das Stück komponiert hat", ist Dorothee Eberhardt überzeugt. Unterschiede sehe sie auch nicht bei Interpreten. "Man muss für die Sache ein Gefühl haben", das sei für Frau und Mann gleichermaßen entscheidend. Zum Glück erfahre sie als Komponistin heute aber ohnehin keine Benachteiligung im Musikbetrieb mehr. Auf jeden Fall kann sich die seit 24 Jahren in Gilching lebende Musikerin bezüglich des Interesses von Interpreten an ihren Werken nicht beklagen. Bis nach Brasilien sind Konzertkalender mit Aufführungen ihrer Kompositionen gut gefüllt. Etwa 75 in nahezu allen Gattungen (außer Oper und Oratorium) führt Eberhardt in ihrem Werkverzeichnis an, viele davon wurden bei diversen Musikverlagen publiziert sowie auf CDs eingespielt.

Weil sie 2017 ihr Münchner Studio aufgegeben hat, wo sie seit 1992 bis zu 25 Schülern Klarinettenunterricht gab, kann sie sich endlich ausschließlich auf das kreative Erschaffen von Musik konzentrieren. "Ich komponiere jeden Tag, jeden Vormittag auf alle Fälle", berichtet sie. Meist gehe es um Auftragswerke, es entstehen aber auch freie Kompositionen, für die sie in der Regel auch immer Interpreten findet, ihre Werke zumindest aus der Taufe zu heben. Zuletzt waren es im September vergangenen Jahres die "London Wind Soloists", die ihr elfeinhalbminütiges "Chiaroscuro" für Violine, Klarinette und Klavier uraufführten.

England, insbesondere London, ist ohnehin so etwas wie ihre zweite Heimat. 1980 zog Eberhardt in die gegenüber Musikerinnen offenere britische Hauptstadt, um dort am Trinity College of Music Klarinette sowie am Goldsmiths College Musikwissenschaft und Komposition zu studieren. Der Komponist, dem sie wesentliche Impulse verdankt, entstammt dagegen der Janáček-Schule: der Tscheche Antonín Tučapský.

"Für mich war die Zuwendung zur Musik als Beruf der absolut richtige Schritt"

So geradlinig, wie es hier klingen mag, war Eberhardts Werdegang allerdings nicht. Zwar hatte sie schon seit ihrer Kindheit in Memmingen Klavier und Akkordeon gespielt, doch studierte sie bis zu ihrer Promotion 1979 zunächst Orientalistik, Philosophie und Griechisch in Würzburg und Tübingen. Erst ein Konzert mit der Saxophonistin Barbara Thompson ließ bei ihr den Entschluss reifen, den sie nie bereuen sollte, nämlich den, eine zweite Karriere zu starten. "Für mich war die Zuwendung zur Musik als Beruf der absolut richtige Schritt", stellt sie entschieden fest. Für ihr Stück "Extravaganza" in der Version für Violine und Klavier erhielt sie den Gedok-Preis. Als besondere Auszeichnung darf auch gelten, dass ihr Stück "Translunar" für Klavier und Streichorchester beim Komponistenwettbewerb 2014 in Padua erfolgreich war und dort von den Solisti Veneti unter Claudio Scimone uraufgeführt wurde.

Zum Komponieren und Üben zieht sich Eberhardt in ihren Kokon zurück: ein Studio im Garten, wo sie sich am Steinway-Klavier in einer Akustikkabine nach Herzenslust austoben kann, draußen ungehört, daher ungeniert. Das Werkverzeichnis wächst also kontinuierlich. Selbstverständlich wirkten sich die Corona-Lockdowns negativ auch auf ihre Arbeit aus. Komponieren war zwar uneingeschränkt möglich, doch die Aufführungen mussten allesamt abgesagt werden. Besonders bedauerlich war dies beim aufwendigen dreisätzigen Orchesterwerk "Luminoso": Dessen erster Satz konnte zwar in Berlin und München vorgestellt werden, harrt als gesamtes Werk aber immer noch der Uraufführung. Es werde noch ein passendes Orchester gesucht, sagt Eberhardt.

Musik aus einem Gartenhaus: Meisterin der Kaleidoskop-Technik: Dorothee Eberhardt aus Gilching.

Meisterin der Kaleidoskop-Technik: Dorothee Eberhardt aus Gilching.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Ihr Erfolg hat gewiss auch damit zu tun, dass sie sich nicht als Avantgardistin und Provokateurin sieht. Ihr Ansinnen ist es vielmehr, dem Publikum ein sinnenfreudiges Erlebnis zu schenken - allerdings ohne Rückständigkeit. Um ihre Hörer emotional besser zu erreichen, zieht sie Freitonalität der Atonalität vor. Ihre Technik bezeichnet Eberhardt als Kaleidoskop-Technik und verweist auf Mozart. Sie arbeite also nicht linear, sondern assoziativ - und Überraschungen liebend breit angelegt. Im Schaffensprozess entstehen so zahlreiche musikalische Bilder, die um das zentrale Thema kreisen, das schließlich jeweils einen Titel gibt. Das ist auf der kürzlich erschienen Kammermusik-CD "Magma" (Genuin Classics) deutlich nachvollziehbar, die mit dem Monet-Holzbläserquintett und dem Trio Tricolor (Korbinian Altenberger, Violine; Christoph Eß, Horn; Boris Kusnezow; Klavier) sowie Axel Gremmelspacher (Klavier), Zoltán Kovács (Klarinette, Bassklarinette) und Catherina Lendle (Violine) eingespielt wurde.

In ihren musikalischen Bildern spielt vor allem eine gewisse Farbigkeit eine wichtige Rolle, deshalb hegt Eberhardt eine Affinität zu Kombinationen aus Streichern, Bläsern und Klavier sowie zu einer reichen Harmonik. Gerade bei den Bläsern kommen zudem experimentelle Spieltechniken zur Anwendung. Insgesamt spielt die Rhythmik eine prägnante Rolle. "Früher habe ich eine additive Rhythmik verwendet, wie Olivier Messiaen", erläutert sie, "heute verwende ich rhythmische Ostinati" - also sich wiederholende rhythmische Muster, die aus der Repetition Eindringlichkeit schöpfen. "Die Idee zu diesen Ostinati verdanke ich zum einen Johann Sebastian Bach, der in einigen seiner Werke rhythmische Ostinati verwendet hat, zum anderen Gottfried Wilhelm Leibniz, der da sagte: Musik ist die versteckte mathematische Tätigkeit der Seele, die sich nicht dessen bewusst ist, dass sie rechnet", zitiert Eberhardt. "Ostinati werden also nicht bewusst, sondern nur unbewusst wahrgenommen, und tragen dadurch dazu bei, dass ein Satz oder ein Abschnitt eines Musikstücks als Einheit wahrgenommen wird." Dank dieser rhythmischen Intensität und Systematik bestechen die zwischen 2012 und 2020 entstandenen Stücke der CD mit formaler Klarheit. Die bildhafte Dramaturgie der Stücke ist im Booklet der CD ausführlich dargestellt, sozusagen als Guide durch die hörbaren Welten.

Am Samstag, 2. Juli, widmet das Kunstforum Gilching drei Komponistinnen einen Abend. Unter dem Titel "Kräht ja doch (k)ein Hahn!" werden neben Werken von Fanny Hensel (geb. Mendelssohn) und Germaine Tailleferre von Dorothee Eberhardt das 4. Klaviertrio von 2010 und ihr Stück "Extravaganza" für Violine, Klavier und Vibra-Tone - ein Schlaginstrument mit glockenartigem Klang - aus dem Jahr 2019 zu hören sein. Interpreten sind ein Schweizer Trio um die Geigerin Désirée Pousaz, die sich im Rahmen ihres Projekts "Musica da donna" in wechselnden Besetzungen ausdrücklich dem Schaffen von Komponistinnen widmet. Das Konzert beginnt um 19.30 Uhr im Christoph-Probst-Gymnasium Gilching.

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