Kommentar:Radikales Umdenken gefragt

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Wessobrunner Kreis bietet innovative Konzepte für die Wende beim Wohnen an

Von Armin Greune

Kleinkarierte Bebauungspläne und -vorschriften fördern Flächenverbrauch, steigende Grundstückspreise und soziale Isolation. Oft genug blockieren sie neue Ideen des Zusammenlebens und klimafreundliche, gemeinschaftliche Energiekonzepte. Aber noch immer halten Kommunalpolitiker und Behörden im Fünfseenland unerschütterlich am klassischen Einzelhaus fest, basierend auf einem nicht mehr zeitgemäßen Baugesetzbuch.

Doch es wäre zu kurz gegriffen, die Verantwortung für die Zersiedelung allein der Politik anzulasten. Der Traum vom Eigenheim ist - auch durch "Schöner Wohnen" oder die Werbung der Bausparkassen - tief in der deutschen Seele verankert. Er verspricht uneingeschränkte Herrschaft über die eigenen vier Wände und das Grün drumherum. Doch was ist die scheinbare Freiheit auf der eigenen Scholle wert, wenn uniforme Siedlungen entstehen, zu viel Landschaft geopfert wird und die Natur hinterm Gartenzaun die letzten Rückzugsgebiete einbüßt?

Mit dem Flächenfraß verhält es sich wie mit dem Autofahren oder Fleischkonsum: Eigentlich weiß jeder, dass er damit der Umwelt schadet, aber nicht alle sind gleich bereit, ihr Leben drastisch umzustellen oder vegetarisch zu leben. Das große Umdenken wird nicht wie eine Lawine ausgelöst, aber jeder einzelne Schritt zur Bewusstseinsbildung ist wertvoll: Weniger Braten und Wurst auf dem Teller, mehr Besorgungen mit dem Rad führen auf den richtigen Weg. Die Wende beim Wohnen aber kann der Einzelne kaum schrittweise vollziehen.

Sie erfordert ein radikales Umdenken vom Eigennutz zum Gemeinnutz, das nicht vorausgesetzt oder erzwungen werden kann. Umso wichtiger sind Konzepte für alternative Wohnformen, deren Attraktivität mit dem Auslaufmodell Eigenheim mithalten: Üppig bepflanzte Terrassen ersetzen Gärten, anstelle von individuellen Kellern und Dachböden können Räume für Freizeit und Beruf gemeinschaftlich genutzt werden, am Haus entstehen Begegnungsflächen für die Nachbarn. Dem Verlust an Eigentumshoheit wird der Gewinn an sozialen Kontakten gegenübergestellt, den gerade Kinder und Eltern zu schätzen wissen. Mit seiner Studie "Lebenswert" hat der Wessobrunner Kreis einen wichtigen Beitrag geleistet, die Zäune in den Köpfen der Bauherren und Behörden einzureißen.

© SZ vom 28.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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