Süddeutsche Zeitung

Kolumne:Urnen, Buddhas und Corvette

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Wenn ein Wassergeist einen Schaufensterbummel macht, dann ist er danach um eine Erkenntnis reicher: Er braucht von alledem nichts!

Von Euerem Nepomuk

Liebe Leute, manchmal muss selbst ich mich fügen. Etwa wenn meine verehrte Gefährtin Nepomuka wieder mal um einen gemeinsamen Schaufensterbummel bittet. Was ich ja eigentlich stinklangweilig finde, mit dem dort präsentierten Angebot kann ein Wassergeist wenig anfangen. Ich brauch' weder Sommerkleidchen noch Sonnenbrille und schick' auch keine Postkarten von der anderen Seite des großen Teichs.

Also nicht, dass Ihr jetzt denkt, Euer Nepomuk ist auf seine alten Tage noch zum Klimasünder geworden und nach Amerika gejettet: Für mich ist der Ammersee als großer Teich im Westen schon immer ein Fernreiseziel gewesen. Dabei bin ich jetzt mit meiner Holden am sogenannten Marktplatz von Dießen entlang der Staatsstraße flaniert. Je nachdem, auf welcher Seite vom Rathaus man da losgeht, heißt sie Johannis- oder Prinz-Ludwig-Straße. Trotz der vornehmen Namen bietet sich die nicht wirklich zum Bummeln an. Diese Benzinmeile ist nämlich die Hauptverkehrsader da drüben, jenseits des Ammersees.

Und doch bin ich beim Blick in die vielen Schaufenster ins Grübeln gekommen, ja fast besinnlich geworden. Angefangen hat es mit der Auslage eines Kommunikationstrainers, der mit welkem Laub, Rinde und Trockengestecken für mehr Achtsamkeit wirbt und über den "Nutzen der Erkältung" aufklärt. Ähnlich herbstlich sind neben dem Studio für "Tätowierkunst" die Fenster eines örtlichen Bestatters gestaltet, der seine Urnenauswald, äh: Urnenauswahl, zwischen Birkenstämmen präsentiert und den Friedwald als Ruhestätte empfiehlt. Der große Konkurrent aus der Landeshauptstadt hat hingegen in seiner Dießener Filiale keine Angebote mit Preisschildchen hinter den Glasflächen. Der Auslage nach hat man sich dort wohl ausschließlich auf Fernöstliches spezialisiert: Zwischen Buddhas und Plastikorchideen werden die vier Weisheiten der buddhistischen Lehre erklärt. Noch prunkvollere Goldstatuen vom Siddhartha Gautama finden sich einige Ärztehäuser und Apotheken weiter bei "Thai-Massagen".

Wisst Ihr aber, was mich am meisten fasziniert hat? In zwei Schaufenstern stehen schicke Oldtimer, ein weißer Mercedes - und eine fast 60 Jahre alte, rote Corvette vom anderen Ende des Atlantiks. "Not for Sale" steht dran, der Eigentümer nutzt den Laden seit Jahren nur als Ausstellungsraum. Der flotte Flitzer hat mir schon gefallen. Aber den brauch' ich als Geist genauso wenig wie eine Bestattung oder Massage, weiß

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Quelle:
SZ vom 19.09.2020
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