Süddeutsche Zeitung

Kolumne:Politik aus dem Wohnzimmer

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In vielen Gremien des Landkreises soll es bald Hybrid-Sitzungen geben

Von Eurem Nepomuk

Hand aufs Herz: Euch ist doch auch schon mal einer dieser klassischen Online-Konferenz-Patzer passiert. Da setzt man sich morgens zur Dienstbesprechung mit den Kollegen vor den Bildschirm und hat die Zahnbürste noch im Mund, streicht sich in aller Seelenruhe sein Marmeladenbrot oder manscht im Müsli rum, glaubt sich dabei im Home-Office am heimischen Küchentisch unbeobachtet - und hat vergessen, dass die Kamera schon läuft. Blöd sowas, wir üben ja alle noch. Ihr hättet das mal erleben sollen, wie die Grünen ("Du musst die URL oben in den Browser reinkopieren") kürzlich mit der Technik gekämpft haben. Die richtig schlimmen Peinlichkeiten schaffen es dann ins Vermischte der Zeitung oder führen gar zu Rücktritten.

Auch unsere Gemeinde- und Kreisräte dürfen bald was Neues ausprobieren. Das wird interessant, liebe Leute. Hybrid-Sitzung nennt sich das dann. Hybrid kennt ihr doch vom Auto: Wenn der Strom für den Elektromotor nicht mehr ausreicht, schaltet das um auf Benzin. Von allem etwas, und es geht beides. In dieser Art dürfen unsere Kommunalpolitiker in einigen Gemeinden demnächst an Sitzungen teilnehmen: persönlich am Ratstisch oder auch von daheim aus am Computer. Damit sie nicht so viel unter die Leute kommen, was es wiederum diesem fiesen Virus schwieriger macht, sich zu verbreiten. Darum das alles. Im Gautinger Rathaus zum Beispiel ist der Computerfachmann, der lustigerweise fast so ähnlich wie Hacker heißt, schon eifrig dabei, das technisch hinzukriegen. Und im Starnberger Landratsamt befassen sie sich in der Verwaltung auch damit.

Aber ich frag' mich, wie das dann ausschaut. Ob dann 24 Laptops auf den Tischen stehen und eifrig miteinander debattieren? Oder ob dann Gemeinderätin Soundso auf einmal drei Quadratmeter groß via Beamer auf dem Bildschirm im Saal erscheint, um zu erklären, warum eine Dachgaube irgendwo partout nicht ins Ortsbild passt? Und dahinter im Bild steht eine Schrankwand rustikal oder eine Gitarrensammlung vor gut bestücktem CD-Regal? Man wird sehen. Mensch, ich freu' mich jetzt schon so auf ein paar Homestorys, live aus dem Wohnzimmer.

Aber jetzt ist echt Schluss mit Politik. Ich muss dann mal zu meinem Hybrid-Stammtisch: Mein Wirt sitzt daheim, meine Spezln auch, und ich auch. Prost Mahlzeit, wünscht virtuell

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Quelle:
SZ vom 17.04.2021
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