Süddeutsche Zeitung

Symposium "Kunst und Bier":Glaube, Liebe, Hopfen

Jedes Jahr fertigen Künstler unterhalb des Klosters Andechs öffentlich Skulpturen zum Thema Bier. Die Besucher hadern bisweilen mit der Kunst, die Schöpfer mit dem Gebräu. Ein Grenzgang auf dem Heiligen Berg.

Von Viktoria Spinrad, Andechs

No, no, sagt Markéta Váradiová auf Englisch und lacht. Ein Insektenhotel sei das nicht, was sie da fabriziere. Die tschechische Künstlerin sitzt in ihrer staubigen Hose vor einem etwa zwei Meter hohen Baumstamm. Wie Sommersprossen verteilen sich Löcher über den Stamm. Gerade macht sie Pause, denn ihr Bohrer ist heiß gelaufen. Da kam die Frage von den Besuchern: ein Insektenhotel? Váradiová lacht. Da nähert sich eine Wespe und schlüpft in eines der Löcher.

Es ist ja auch immer so eine Sache mit der Kunst. So auch an diesem Mittwochnachmittag auf der Maiwiese des Kloster Andechs. Während sich die Pilger bei knapp 30 Grad den Heiligen Berg hinaufschleppen, auf der Suche nach Glauben, Geschichte und kühlem Gebräu, steht Váradiová unterhalb und versucht mit ihrem Bohrer, letzterem ein künstlerisches Denkmal zu hinterlassen.

Also, dem Gebräu, nicht den Bienen. Die Löcher stellen Bläschen dar, das Gesamtkunstwerk soll ein Bier mit Schaumkrone werden - sozusagen eine Hommage an das Bier, wodurch sich das Benediktinerkloster seit Jahrhunderten finanziert. "Was ist schon ein Bier ohne gute Schaumkrone?", sagt sie, die selbst lieber Rotwein trinkt. Das Oktoberfest, sagt sie, müsse bestimmt die Hölle sein.

Kunst über das Bier? Was zunächst wie ein Scherz klingt, ist, nun, bierernst gemeint

Es ist der erste Tag einer jährlichen Kunstaktion, die erstmal nach einem PR-Gag klingt: Drei Künstler ziehen für eine Woche ins Kloster Andechs und setzen dem Bier in dieser Zeit ein künstlerisches Denkmal auf die Maiwiese. "Kunst und Bier", so heißt das Symposium offiziell, und wie so vieles in Bayern hat es bereits eine Tradition: Seit 20 Jahren kommen Jahr für Jahr Künstler und lassen die Späne fliegen.

Das Ergebnis ist eine Art Open-Air-Ausstellung vor den Toren der Klosterbrauerei. Da grüßen ein Biermadl auf einem Bierfass, ein Brauer beim Anstich, drei Bier-Bar-Hocker, eine meterhohe Weizenpflanze und ein Hopfenzapfen, beide schon etwas braun angelaufen. Allesamt stumme Zeugen der Hunderttausenden Touristen, die sich Jahr für Jahr an ihnen vorbei aufmachen, die pittoreske Wallfahrtskirche anzuschauen und anschließend ins Bräustüberl einzukehren. Etwa zehn Millionen Liter Bier in zehn Sorten werden hier jährlich gebraut, es ist die Lebensader des weltberühmten Klosters.

Und eben auch Inspirationsstoff für die Kunst. Dass sich hier Jahr für Jahr Artisten abmühen, dem Gerstensaft ein Ehrenmal zu setzen, liegt an einem weißhaarigen Mann, der es sich an diesem Nachmittag an einer Biertischgarnitur neben Markéta Váradiovás Schaffensplatz gemütlich gemacht hat. Georg Zentgraf lacht, dass man denkt, er falle gleich vom Bierbankerl. Ein Insektenhotel? Auch er hat die Frage gehört. Der 90-Jährige deutet auf die oberen, besonders großen Löcher im Schaumkronen-Baumstamm in Spe. "Und die da oben sind dann für die Kolibris!"

Zentgraf ist eine Art Bier-Guru im Freistaat. Er bildete Generationen an Braumeistern aus und prägte die Brauindustrie in der ganzen Welt mit. Aber er ist eben auch der Sohn eines Bildhauers. Als er vor 30 Jahren also seine eigene Stiftung gründete, war klar, dass Kunst und Bier zusammenfinden sollten. "Einfach, weil es Freude macht", sagt er. So fand sich eine für beide Seiten erquickliche Symbiose zwischen Kunst und Bier. Mittlerweile wird das Symposium vom Kloster und öffentlichen Geldern gefördert.

Einer baut einen Zapfhahn. Der kann zwar nicht krähen, aber immerhin mahnen

Eine Säge kreischt. Es ist Tim Weigelt, Holzbildhauer aus Jena. Auch er versucht, einen Baumstamm in Form zu bringen. Am Ende soll daraus ein lebensgroßer und recht wortwörtlicher Zapfhahn werden: mit Füßen, Federkleid, und einem hölzernen Schnabel, aus dem dann das Bier fließen würde, wäre der Zapfhahn ein echter. Die Idee dazu kam ihm in seiner Heimat. "Rettet den Zapfhahn", heißt dort eine Kampagne, um örtliche Gaststätten mittels kulinarischem Engagement vor dem Aussterben zu bewahren. Dennoch scheint er kein fundamentalistischer Anhänger der bayerischen Bierkultur zu sein. "Bier geht schon", sagt er und erzählt sogleich vom Wein, der aufgrund des Klimawandels mittlerweile auch an der Saale gedeiht.

Inzwischen schleichen die Besucher mal mit, mal ohne gefüllte Klosterbier-Tragerl um die hölzernen Hopfen-Hommagen und ihre Schöpfer. Ein kleiner Junge macht ein Selfie vor einem hölzernen Bierstuhl mit eingeschnitzter Fratze. Von der echten Bierbank aus betrachtet Hubert Huber das Treiben. Er ist selbst Künstler und Leiter des Symposiums. "Museen haben oft eine Hemmschwelle", sagt er. Hier aber stehen die Skulpturen für mindestens drei Jahre direkt an einem Touristen-Hotspot - das ist Bedingung für die Teilnahme am Symposium.

Die röhrenden Maschinen machen die Besucher des Bierolymps neugierig - und schaffen Synergien in der Szene. Vor Tim Weigelts Station hält jetzt ein bärtiger Mann und gibt sich selbst als Holzbildhauer zu erkennen. Der Dialog verläuft etwa so: "Fichte oder was?" (Weigelt lacht) "Eiche scho". - "Jetzt geh." - "Das ist doch keine Eiche nicht." - "Ja doch". (Der Mann mustert das Projekt) "Passt. Ist in Ordnung, ok. Vielleicht mach ich auch mal so was." - "Unbedingt. Die Kunstszene braucht immer frisches Blut." Beide lachen.

Weiter hinten fährt Gabriele Köbler langsam mit einem Pinsel über ein Frauengesicht aus Ton. Die freie Künstlerin aus der Pfalz modelliert eine Bierkönigin. Daneben hat sie eine Flasche mit Sprühwasser deponiert: Denn wegen der Hitze droht ihre Königin auszutrocknen. Deshalb muss sie sie regelmäßig absprühen. Mit den hiesigen Vorlieben ist die Haßlocherin vertraut, sie kommt aus dem Partnerlandkreis von Starnberg, Bad Dürkheim, wo im Sinne des Kulturaustauschs regelmäßig das Andechser Bierfest steigt. Mit dem Holz vor der Hütt'n hält sie sich bei ihrem Projekt dennoch zurück. "Ich mag eher die zarten Formen", sagt sie.

Derweil hat sich Markéta Váradiová auf die Wiese gelegt und schaut in die Wolken. In den kommenden Tagen hat sie noch einiges vor sich. Sie muss den Stamm zu Ende bearbeiten und die Schaum-Bläschen, also die Löcher, einzeln reinigen. Wenn sie fertig ist, sagt sie, gönne sie sich vielleicht auch ein Bier.

Bis einschließlich Mittwoch, 24. August, können Besucher den Künstlern täglich zwischen 9 und 12 Uhr sowie 13 und 17 Uhr über die Schulter schauen.

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