Gleich dreimal hat das Gewittermonster im vergangenen Juli zugeschlagen: Die „Lechtalerin“, eine Superzelle, in deren Inneren ein mächtiger Aufwind warmer Luft enorme Energien erzeugt. Sie baut sich bei hochsommerlicher Hitze im Raum Füssen/Reutte auf und kann bis zu 30 Kilometer Durchmesser und zwölf Kilometer Höhe erreichen, bis zur Untergrenze der Stratosphäre, wo 55 Grad minus herrschen. Von dort aus nimmt sie Kurs nach Nordosten, um sich über dem Pfaffenwinkel und dem Fünfseenland bis in den Münchner Raum zu entladen. Die mit der „Lechtalerin“ verbundenen Tornados, orkanartigen Böen, Hagelbrocken und Sturzregen hinterlassen örtlich regelmäßig verheerende Folgen.
Wieso diese Superzelle gerade am unteren Lech ihren Ursprung hat, dazu biete die meteorologische Forschung bislang nur Theorien an, sagt Wetterbeobachter Stefan Schwarzer. Auf Einladung des Dießener Heimatvereins hielt er dort jüngst einen Vortrag zum Thema „Der Ammersee und sein Wetter – lokale Begebenheiten, Windsysteme, Warnungen“. Mit etwa 50 Besuchern war der Saal des Wirtshauses am Kirchsteig bis auf den letzten Stuhl besetzt, gerade der Aspekt Windsysteme lockte vor allem Segler und Seglerinnen an.
Dass – wenn keine Störungen wie Tiefdruckgebiete oder -fronten vorliegen – der Wind tagsüber vom erhitzten Land zum Wasser und nachts umgekehrt weht: Diese Erkenntnis dürfte auch einen Binnen-Seemann kaum erschüttern. Logisch auch der Schluss, dass die Wetterwirksamkeit eines Gewässers mit dessen Fläche zunimmt. Als Beispiel führte Schwarzer den sogenannten Lake-Effekt an den Großen Seen Nordamerikas an: Dort nehmen kalte Winde über den Wasserflächen Dampf auf, der rasch gefriert und sich am Ufer in meterhohen Schneefällen niederschlagen kann. Ansatzweise wäre dies allenfalls am Bodensee und am Pfänder in Vorarlberg zu bemerken, sagte Schwarzer; Ammersee und Starnberger See seien dafür in Hauptwindrichtung einfach zu schmal. Als trügerisch erwies sich auch eine Blitzkartierung von 2021, die über dem Süden des Starnberger Sees eine deutliche Häufung der Einschläge suggerierte. Die Karten der Folgejahre ließen nichts mehr davon erkennen.
Was die „lokalen Begebenheiten“ des Ammersees betrifft, konnte Schwarzer letztlich also nur mit der „Lechtalerin“ aufwarten. Freilich steht in Zeiten der Klimaerwärmung auch im Alpenvorland außer Zweifel, dass extreme Wetterereignisse an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Eine steigende mittlere Temperatur erhöht das Risiko für Dürren, Waldbrände und Hitzewellen. Der Klimawandel bringt aber nicht nur längere Trockenperioden, sondern auch mehr Starkregen mit sich, denn Luft nimmt bei einer Erwärmung von einem Grad sieben Prozent mehr Wasserdampf auf.
Wie sich auch heuer wieder gezeigt hat, geraten Osteuropa, Österreich und das bayerische Alpenvorland immer mehr unter Mittelmeereinfluss. Über dem im Sommer nun stärker erhitzten Meer kann sich ein Tief wie ein Schwamm voll Wasser saugen. Es zieht östlich an den Alpen vorbei, dreht nach Südwesten ab und regnet sich in Mittel- und Osteuropa ab. Gerade am Nordrand der Berge kommt es dann zu Staulagen mit andauerndem Starkregen.
Auf zuvor ausgetrockneten oder versiegelten Flächen können die Wassermassen nicht versickern, Hochwasser sind die Folge. Diese sogenannten Vb-Wetterlagen verwüsteten heuer Teile Polens, Österreichs, des Berchtesgadener Lands und des Allgäus. Sie waren auch vor 25 Jahren im Fünfseenland für das Pfingsthochwasser verantwortlich.
Schwarzer hat für den Deutschen Wetterdienst elf Jahre lang auf der Zugspitze als Wetterbeobachter gearbeitet, bis sein Job der Automatisierung gewichen ist. Seitdem ist er auf dem Hohen Peißenberg als Programmierer tätig, wo man „mit dem Wetter nicht mehr viel zu tun hat – wir sind ein luftchemisches Observatorium geworden“, so Schwarzer.
Weil auch dort im Herbst der letzte hauptamtliche Beobachter in den Ruhestand gegangen ist, nimmt Schwarzer nun dessen Aufgabe wahr, die regelmäßigen Wetterrückblicke des seit 1781 bestehenden Observatoriums zusammenzustellen. Seine Leidenschaft, der er auch privat mit einer Homepage frönt, ist das Registrieren des Wettergeschehens geblieben. Außerdem berät er etwa in Hohenpeißenberg Gemeinde und Feuerwehr zum Hochwasserschutz. Schwarzer ist es ein Anliegen, das Thema (Un-)Wetter in die Öffentlichkeit zu tragen, zumal „die Wahrnehmung für akute Gefahren abnimmt und sich viele auf ihr ‚Youtube-Diplom’ und ihr Handy verlassen“.
Schwarzer schloss mit einem Blick auf die Bauernregeln, die auf jahrhundertelange Beobachtungen zurückgehen, aber in der Klimakrise ihre Aussagekraft verlieren. Er appellierte an die Besucher, eigene meteorologische Erkenntnisse festzuhalten: „Es gibt in Deutschland keine Wetterbeobachter mehr, seid ihr die Beobachter.“ Jedenfalls kam Schwarz mit seiner lockeren Art beim Publikum bestens an: Wie der Heimatverein meldet, war schon am Folgetag sein zweiter Vortrag in Dießen ausgebucht.