Klavierkonzert:Versöhnung und Trauer

Gauting: Bosco Miachail Lifits

Gast auf internationalen Festivals und jetzt in Gauting: Der 31-jährige Pianist Michail Lifits aus Usbekistan.

(Foto: Nila Thiel)

Michail Lifits schlägt eine Brücke zwischen Tradition und Moderne

Von Reinhard Palmer, Gauting

Mit Beethoven und Chopin war Michail Lifits 2012 schon einmal im Gautinger Bosco. Seither hat sich viel getan bei dem usbekischen Pianisten: Weltweit unterwegs, ist Lifits vor allem in Europa längst etabliert und hat als Solist - mit und ohne Orchester - wie Kammermusikpartner ein breit gefächertes Betätigungsfeld gefunden. Er ist gern gesehener Gast in den renommiertesten Konzertsälen wie bei namhaften Festivals. Nun war ursprünglich Beethoven, Ravel und Schumann für das Bosco-Konzert geplant. Dass es kurzfristig eine Änderung gab, lag daran, dass Lifits mit seiner CD-Einspielung von 2017 und anschließenden Konzerten mit den Präludien op. 34 von Schostakowitsch große Erfolge feierte. Letztlich sorgte Lifits dafür, dass dieser Zyklus von 24 teils aphoristisch kurzen Stücken aus dem Schattendasein erwachte. Das wurde dem Gautinger Publikum nicht vorenthalten.

Mit der gegebenen Konzentration auf sehr unterschiedliche Charaktervarianten demonstrierte Lifits seine Stärke der spieltechnischen Differenzierung. Das Ausdrucksspektrum schlug einen weiten Bogen vom andächtigen, bisweilen religiös-frommen Sinnieren, über lyrischen Gesang und perlende Mystik bis hin zum virtuos-brillanten Wogen und hymnischen Donnern. Mit seiner Wendigkeit vermochte Lifits den Flügel geradezu zum Sprechen zu bringen mit rhetorischen Ausdrucksgesten, fesselnden Erzählungen, überraschenden Fragen und Ausrufen. Das Vorbild der Idee für dieses Werk - Chopin mit seinem Präludien-Zyklus in der Reihenfolge gemäß dem Quintenzirkel und dazugehöriger Mollparallelen - kam im Erscheinungsbild ohne Brüche zum Tragen. Die Brillanz wie auch der romantische Kerzenschimmer, wie er bei Chopin in den Nocturne mit spezifischem Klangbild verzaubert, vertrugen sich in Lifits' Interpretation selbst mit Atonalität und Dissonanzen. So schlug der 37-Jährige eine Brücke zwischen Tradition und Moderne - erst recht mit dem Anhang aus seinem zweiten Zyklus, dem der Präludien und Fugen op. 87.

Knapp 20 Jahre später entstanden, hatte es Schostakowitsch verstanden, die Kraft der Neuen Musik vor Stalins Zensurbehörden hinter gemäßigter Oberfläche zu verbergen. Lifits ließ diese unterschwellige Spannung spüren, was diese Stücke nun zu monumentaler Größe anwachsen ließ. Während das Finale des op. 34 eher unspektakulär den Schlusspunkt setzte, endete das Werkpaar des op. 87 in d-Moll mit gewaltigem Finale; Lifits inszenierte es mit sinnierend-feierlichem Vorlauf. Schließlich bahnte sich die Spannung den Weg aus dem Verborgenen und Lifits donnerte ein Finale von urwüchsiger Kraft heraus.

Die Wirkung war umso stärker, da Lifits seinen Auftritt mit einer zurückgenommenen Schubert-Sonate eröffnet hatte. In der letzten Sonate des Komponisten B-Dur D 960 aus dessen Todesjahr fokussierte Lifits vor allem den geistigen Gehalt, zudem die subtil changierenden Seelenzustände Schuberts, die dessen letzten Werke so tiefgründig machen. Zwar hatte der erst 31-jährige Komponist seine ersten Skizzen ohne Todesvorahnung zu Papier gebracht, doch deutete die Gewissheit des nahenden Endes dieses Material letztendlich um. Lifits versah die Schönheit der melodischen Gesänge und Motive mit einer Prise Wehmut und kreierte eine Ambivalenz zwischen Versöhnung und Trauer. Ein überaus feinsinniger Zugriff, den der Pianist mit Geduld erspürte. Präzis und minimalistisch austarierter Pedaleinsatz halfen, die pianistischen Mittel mit Nuancen auf dünnem Grat auszubalancieren. In der Zugabe griff Lifits diese feierlich entrückte, geradezu sakrale Verhaltenheit erneut auf: Chopins Nocturne cis-Moll op. posth. BI 49 verklammerte das Programm zu einer einzigartigen Ausdrucksform.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: