Klassik:Kleine Wassermusik

Große Komponisten arbeiteten am Starnberger See. Ihr Schaffen zeichnet ein neues Buch nach

Von Sabine Bader

Mal ist das Wasser tiefblau, wie der Himmel an einem Sommertag, mal grasgrün wie ein Tümpel und dennoch klar bis zum Grund. Und wenn von Westen Sturm und Regen heranziehen, ist es eisgrau. Doch gerade wegen seines Farbenspiels inspiriert der Starnberger See die Künstler zu allen Zeiten - unter ihnen die Münchner Maler Wilhelm von Kaulbach, Carl Rottmann, Moritz von Schwind und Clemens von Zimmermann. Aber nicht nur sie, auch namhafte Komponisten zieht es an die Seeufer. Die einen genießen hier ihre Sommerfrische, den anderen wird der See zur Wahlheimat - und sie sind kreativ.

Der Musikwissenschaftler Christian Lehmann ist selbst am See aufgewachsen, im Berger Ortsteil Farchach. Er besuchte das Starnberger das Gymnasium, lebt heute mit seiner Familie in Söcking und lehrt Musikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität. Gemeinsam mit 13 seiner Studenten untersuchte er 2019 die Musikgeschichte am Starnberger See. An Ort und Stelle wurden Interviews geführt, in Bibliotheken und Archiven gestöbert. So entstand eine Ausstellung, die im Seminarhaus Buchenried in Leoni gezeigt wurde. Jetzt veröffentlicht Lehmann eine erweiterte Version seiner Recherchen über mehr als 20 Komponisten in dem Buch: "Blauer Himmel, blaue Wogen" - ein musikgeschichtlicher Spaziergang um den See.

Von der Tatsache, dass Johannes Brahms den Frühsommer 1873 in Tutzing verbringt, zeugen heute unter anderem die Brahmspromenade, das Brahms-Denkmal und der Brahmspavillon. Dass Richard Wagner 1864 die Villa Pellet in Kempfenhausen bezieht, ist vielen Seeanrainern ebenfalls ein Begriff. Auch wissen etliche, dass der Name des Berger Ortsteils Leoni auf den Hofsänger Giuseppe Leoni zurückgeht und dieser nach seinem Abschied von der Bühne 1825 ein Gasthaus in Assenbuch eröffnet, in dem sich die Münchner Künstler treffen - darunter Wilhelm von Kaulbach und Carl Rottmann. Letzterer findet hier seinen Lieblingsplatz - die "Rottmannshöhe".

Weit weniger bekannt ist, dass der aus Rain am Lech stammende Münchner Hofkapellmeister und Operndirektor Franz Lachner den Sommer gerne in Bernried verbringt und von dort ausgedehnte Spaziergänge nach Tutzing unternimmt. Weil er auch als gefragter Kompositionslehrer gilt und gerade wieder auf dem Sprung nach Bernried ist, schlägt er im Juni 1877 dem 22-jährigen Stipendiaten Engelbert Humperdinck kurzerhand vor, seinen Sommerurlaub mit ihm in Bernried zu verbringen. Wen wundert's, dass der Unterricht dort stets in entspannter Atmosphäre beim Spazierengehen oder Kaffeetrinken stattfindet und Humperdinck drei vierstimmige Chorsätze a cappella schreibt.

Und Richard Strauss steigt sogar so gerne im Haus von Verwandten in Felda- fing ab, dass er dort absichtlich immer ein Paar Tennisschuhe "vergisst", um einen guten Vorwand zum Wiederzukommen zu haben.

Wer Lehmanns musikalischen Wanderführer liest, der erfährt noch weitere Anekdoten rund um die Musikgeschichte am Starnberger See. Und handyaffine Musikfreunde können die hier entstandenen Kompositionen über einen QR-Code beim Wandern nachhören.

Vielleicht inspiriert sie das Farbenspiel des Wassers ja ebenso wie einst Johannes Brahms, der über seinen Aufenthalt am Westufer des Sees an seinen Freund Hermann Levi schreibt: "Tutzing ist weit schöner, als wir uns neulich vorstellen konnten. Eben hatten wir ein prachtvolles Gewitter; der See war schwarz, an den Ufern herrlich grün, für gewöhnlich ist er blau, doch schöner, tiefblauer als der Himmel, dazu die Kette schneebedeckter Berge - man sieht sich nicht satt."

Christian Lehmann, "Blauer Himmel, blaue Wogen", Apelles-Verlag, 12,80 Euro

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