Klassik:Bartóks Leitstern

Gauting: Bosco Jerusalem Quartet

Zwischen Avantgarde und Tradition: das Jerusalem Quartet.

(Foto: Nila Thiel)

Das Jerusalem Quartet spielt im Bosco Musik der Avantgarde

Von Reinhard Palmer, Gauting

Publikumsansturm ist beim Jerusalem Quartet nichts Ungewöhnliches. Dass das Gautinger Bosco ausverkauft war, überraschte dann aber auch die vier israelischen Musiker. Denn das Ensemble, dem ein herausragender Ruf vorauseilt, setzte den Schwerpunkt des Konzerts mit Werken von Bela Bartók. Und damit stellte das Quartett nicht nur den Mitschöpfer der ungarischen Nationalmusik vor, sondern letztlich auch die Geburtsstunde der Neuen Musik, die leider vielerorts bei Zuhörern noch den Fluchtreflex auslöst.

Nicht so in Gauting, zumal es dem Jerusalem Quartet auch darum ging, auf die Verbindung der Musik Bartóks zur Tradition zu verweisen. Beethoven sollte hier als Modelllieferant mit dem Streichquartett op. 18/1, dem allerersten von ihm veröffentlichten, den Ton angeben. Das einfühlsame Spiel in sorgfältig austarierter Homogenität galt daher nicht nur Beethoven, sondern folgerichtig, wenn auch sicher nicht unumstritten, dem Streichquartett Nr. 1 op. 7 von Bartók. Obgleich letzterer formal an die Tradition anknüpfte, sie zudem mit der anspruchsvollen ungarischen Volksmusik konfrontierte, war das Ergebnis avantgardistisch, ja revolutionär. Bartók deutete die Elemente um, stellte sie in einen neuen Kontext, befreit von harmonischen Bindungen. Im ersten Streichquartett lieferte er damit vielleicht noch kein klares stilistisches Ergebnis. Doch das Jerusalem Quartet präsentierte einen Komponisten, der nicht nur den Mut hatte, Neuland zu betreten, sondern es auch schaffte, dem neuen Kontext eine schlüssige Form zu verleihen.

Diese Klarheit ist nicht selbstverständlich und dem Ensemble als besondere Qualität zuzuschreiben. Denn die Musiker spürten die Gedanken hinter den nicht selten sperrigen musikalischen Bausteinen auf. Bartóks Entschluss, die Sätze zu einer übergreifenden Form zu verbinden, gab das Jerusalem Quartet Priorität und formte die Dramaturgie übergreifend mit weitem Spannungsbogen, was ein wesentlicher Aspekt zum Verständnis des Werkes ist. Das Fortspinnen der Gedanken und die Anreihung zum Teil auch recht spröder Elemente bildeten auf diese Weise eine schlüssige Form, in der selbst scheinbar beiläufige Einwürfe in der Dramaturgie schlüssig, wenn auch allzu geschmeidig aufgingen.

Was die Vorbilder betrifft, gehörte zum Streichquartett Nr. 4 in C-Dur von Bartók unbedingt die Zugabe: Der langsame Satz aus Debussys Streichquartett leuchtete in diesem Kontext vielleicht nicht ein. Doch so sehr Rhythmik und harmonische Schärfe bei Bartók dominieren - er war keinesfalls ästhetisch schönem Klang verschlossen. Solche Momente waren auch schon im ersten Streichquartett von 1908 zu hören, auch wenn der Ungar nicht das schillernd lichte, impressionistische Klangbild wählte, sondern satter kolorierte. Im 1928 komponierten C-Dur-Werk rückte er wieder etwas näher an seine Vorbilder heran, griff sogar in den äußeren Rahmensätzen Beethovens motivisch-thematische Arbeit wieder auf.

Die inneren Rahmensätze aber galten der Klangbildung, die das Quartett kompromisslos umsetzte. Der zentrale Satz, "Non troppo lento", fasste alle Elemente zusammen, exponierte ungarische Folklore vor Clustern. Mehr Leidenschaft und Temperament hätten nicht nur diesem Satz gut getan. Das Publikum war dennoch begeistert.

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