Süddeutsche Zeitung

Starnbergerin beim Ski-Weltcup in Garmisch:Zwei Minuten Vollgas für "Kiraaaaa"

Knapp 100 Fans jubeln ihrer "Speed Queen" Kira Weidle an der Kandahar zu. Die Freunde vom Gymnasium unterstützen sie seit Jahren und überlegen, einen Club zu gründen.

Von Carolin Fries

Es dauert keine zwei Minuten, doch die sind entscheidend. Dann gilt es für die Fans, alles zu geben. Da bleibt keine Zeit für einen Schlachtruf oder eine Hymne zur Anfeuerung. "Alle rasten aus und schreien wild und laut durcheinander", sagt Jenny Seidenschwarz.

Auch die 23 Jahre alte Studentin aus Starnberg wird an diesem Samstag in Garmisch auf der Tribüne im Zieleinlauf der Kandahar stehen, "Kiraaaaa" kreischen und zusammen mit knapp einhundert Gleichgesinnten auf der Leinwand verfolgen, wie sich ihre Freundin vom Himmelreich durch Eishang und Hölle kämpft, um anschließend nur knapp hundert Meter von ihnen entfernt über die rote Ziellinie zu rasen. Knapp zwei Minuten Vollgas. "Die anderen Leute schauen uns danach immer ganz verwundert an", sagt Seidenschwarz. Denn so viele Fans wie für die 22 Jahre alte Kira Weidle vom SC Starnberg stehen hier für keine andere Athletin an der Piste.

Sie haben sogar "KIRA"-Mützen machen lassen

2016 waren sie - Kira Weidles engste Freunde, Familienangehörige und Bekannte - zum ersten Mal hier beim Abfahrtsrennen. Im vergangenen Jahr dann schon organisiert mit blauen Fan-Mützen, darauf in pink und in Großbuchstaben "KIRA". "Die haben dann gar nicht für alle gereicht", erzählt Markus Kittel. Heuer werden sie den Super-G verfolgen, nachdem die Rennen am Freitag getauscht worden sind.

Egal. Samstagmorgen um Viertel vor acht geht es los mit S-Bahn, Zug und Shuttle. Der 23-Jährige war mehrere Jahre mit Kira Weidle am Gymnasium in einer Klasse, in der Freizeit trainierten die Freunde gemeinsam im Skiclub, "nach den Sommerferien bis zu den Pfingstferien quasi jedes Wochenende". Jetzt steht er am Rand und brüllt. "Ich glaub einfach, dass sich die Kira schon ziemlich freut, wenn wir da sind."

Früher standen sie gemeinsam auf der Piste, mit dabei waren auch die älteren Geschwister der beiden, Matthias Kittel und Luis Weidle. "Die Zeiten sind vorbei", sagt der Bruder, 24, flapsig. Während die Jungs mit 16 Jahren den Skisport an den Nagel hängten, startete Kira ihre Karriere: Nach der zehnten Klasse wechselte sie auf das Skiinternat in Oberstdorf, fuhr FIS-Rennen, gewann die Abfahrtswertung im Europacup und holte Bronze bei der Juniorenweltmeisterschaft.

"Sie hat immer extrem viel gearbeitet für den Sport. Sie ist sehr ehrgeizig", sagt Markus Kittel. Er und seine Freunde haben sie dabei nie aus den Augen gelassen, Rennen und Tabellen im Internet verfolgt. Als schließlich das erste Weltcuprennen im Januar 2016 in Zauchensee anstand, war für sie klar: Da sind wir dabei!

40 Rennen

im Weltcup hat Kira Weidle bislang bestritten. Die 22-Jährige tritt in den Speed-Disziplinen Abfahrt und Super-G an. Ihre besten Ergebnisse erzielte sie in dieser Saison: Platz drei Lake Louise und Platz vier in Cortina d'Ampezzo. Zu den Höhepunkten ihrer Karriere gehören die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Dort wurde sie in der Abfahrt Elfte.

Mutter Martina bringt das Maskottchen mit

Seit diesem Tag gibt es Maskottchen "Zauchi", eine Stofftier-Kuh mit Hosenträgern. Mutter Martina Weidle bringt diese zu den Rennen mit. Die Freunde haben ein Plakat für die "Speed Queen" gebastelt, das K steht darauf versehentlich auf dem Kopf. "Daran hat sogar die Oma von Kira mitgenäht", erzählt Jule Stoll. Sie hat ihre Freundin noch in der Schulzeit auf einem Foto unterschreiben lassen, damals zum Spaß. Jetzt spricht die Auszubildende von "Kiras erstem Autogramm". Sie sind noch immer eng mit der Familie Weidle verbunden.

Vater Günther besorgt stets die Tickets für das Rennen in Garmisch. Auf seine Whats-App-Nachricht ein paar Wochen vor dem Rennen sei Verlass. Sie erreicht dann alle in der Gruppe "FC Kira Weidle". Einen Fanclub auf dem Papier gibt es nicht - noch nicht. Markus Kittel hat sich zuletzt erstmals mit der Frage beschäftigt, welche Vorteile ein eingetragener Verein brächte oder ob dieser am Ende nur Verwaltungsarbeit bedeute. Eine Antwort hat er noch nicht gefunden. Auch, weil es bislang gut so funktioniert, wie es ist: Wenn es ein Rennen in erreichbarer Nähe gibt, dann trommelt jeder seine Freunde zusammen. "Garmisch ist gesetzt. Manchmal klappt noch Gröden."

Die Freundin ist zum Sportstar geworden, soweit das in der Disziplin Ski alpin eben möglich ist. Anstatt sich spontan am Wochenende zum Kaffee zu verabreden, verfolgt man jetzt in Starnberg am Fernseher, was die Skirennfahrerin Reportern in die Mikrofone sagt. "Ich bin überrascht, wie souverän sie damit umgeht", sagt ihr Bruder Luis. Warum er keine Alpin-Karriere eingeschlagen hat? "Weil er ständig verletzt war", sagt Matthias Kittel. Der Starnberger Jung-Unternehmer hat Kira Weidle im Sommer in Chile besucht, wo sich der DSV-Kader auf die Saison vorbereitet hat - und ihr unter anderem geholfen, die vier Paar Trainingsski an die Strecken zu tragen. "Ich wünsche ihr einen Weltcupsieg oder eine Medaille, damit sie etwas Großes hat, worauf sie später zurückschauen kann", sagt Matthias Kittel. Grundsätzlich trauen sie ihr das alle zu. Ihr größter Fan aber, da sind sich alle einig, ist Opa Fritz aus Stuttgart. Ein leidenschaftlicher Skifahrer. Und sehr, sehr stolz.

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Quelle:
SZ vom 26.01.2019
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