Musik:Abtanzen in der Tagesbar

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Unter dem Motto „Einfach tanzen“ heizt DJ Rupen Gehrke den Besuchern der Tagesbar auf Gut Kerschlach ein. (Foto: Arlet Ulfers)

Einmal im Monat lädt DJ Rupen Gehrke nach Gut Kerschlach ein. Die Party kennt weder musikalische noch altersspezifische Grenzen.

Von Armin Greune, Pähl

Hier gilt offenbar: Je später der Abend, desto jünger die Gäste. Aber was heißt hier schon spät? Um neun ist in der Tagesbar in Gut Kerschlach Zapfenstreich – da haben Millenials oder Zoomer normalerweise noch nicht mal mit dem Vorglühen angefangen. Schon möglich, dass nach 1981 Geborene auch um neun vom Feiern heimziehen – aber dann morgens am nächsten Tag.

Unter dem Motto „Einfach tanzen“ trifft man sich einmal im Monat von 18 bis 21 Uhr. Der ein oder andere mag das spöttisch „Tanztee“ heißen; was unweigerlich Assoziationen wie Seniorenheim, Alleinunterhalter am Keyboard und Gesellschaftstanz in Paaren hervorruft. In Kerschlach hingegen bewegt man sich solo und freestyle, allerdings führt auch dort ein Alleinunterhalter Regie. Das Musikprogramm aber ist viel vitaler, vielseitiger und praktisch völlig Oldies-frei. Es kennt tatsächlich keine Grenzen: „Global Music Club“ lautet das Thema – ein Konzept, das DJ Rupidoo vielleicht nicht erfunden, aber deutschlandweit entscheidend vorangebracht hat.

Der Mann mit dem bürgerlichen Namen Rupen Gehrke veranstaltete mit dem „Elternabend“ im „Schlachthof“ als Erster eine Ü30-Party in München und gründete dann 2002 mit Dimitri Voulgarakis den famosen „Jalla Club“, der zunächst das Foyer im Völkerkunde-Museum bespielte. Unter dem arabischen Titel (der dem bairischen „Auf geht’s“ entspricht) legte Gehrke bis 2016 in so unterschiedlichen Ballsälen wie dem Bayerischen Nationalmuseum oder dem „Maxim“-Kino, im Muffatwerk, der Kölner Lutherkirche oder gar beim Bundesrechnungshof in Bonn auf.

So exotisch mutet Gehrkes neueste Party-Location dann doch nicht an. Lisa Vossen und Robert Schröder hatten das Pech, die Tagesbar im Gut ausgerechnet mit Beginn der Pandemie zu übernehmen, nachdem sie zuvor die Räume aufwendig ausgebaut und neu gestaltetet hatten. To Go-Angebot und die große Terrasse mit Bergblick halfen während des Lockdowns beim wirtschaftlichen Überleben, inzwischen ist auch das Lokal mittwochs bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Brigitte Gattinger (li.) verteilt an der Kasse für zwölf Euro Eintritt „Handküsse“ mit roter Stempelfarbe. (Foto: Arlet Ulfers)
Als erfahrener Profi verschmäht DJ Rupidoo feste Konzepte. Er improvisiert lieber, um spontan auf die Tänzer reagieren zu können. (Foto: Arlet Ulfers)
Zur Halbzeit des Abends ist die Tagesbar rappelvoll. (Foto: Arlet Ulfers)

Für die mittlerweile vierte Disco-Party schieben sie an diesem Donnerstag gern Überstunden. Am Eingang verteilt Brigitte Gattinger, die Gehrke und die Wirtsleute als PR-Managerin unterstützt, für zwölf Euro Eintritt „Handküsse“ mit roter Stempelfarbe. Schon kurz nach 18 Uhr sind die Räume zur Hälfte gefüllt, noch dominieren die Babyboomer das Geschehen. Mit „Let’s keep dancing“ hat DJ Rupidoo zum Auftakt einen sowohl thematisch wie altersgemäß passenden Song gewählt, der nichtsdestotrotz taufrisch ist: Emilíana Torrini hat die Single erst in diesem Frühjahr veröffentlicht.

In den kommenden drei Stunden hält die Musikauswahl so manche Überraschung bereit. Der Schwerpunkt liegt auf Latin-, Afro-, Balkan- und Oriental Beats – alles tanzbar und oft gefällig, ohne jedoch banal zu wirken. Im Bogen geht es mit gewagten Wendungen von Khaled über Manu Chao bis zu Cumbia und Soukous. Darunter viel bislang Ungehörtes, Langeweile kommt da nicht auf. Und gerade wenn man zu erkennen glaubt, „World Music“ bedeutet für Rupidoo, dass nicht englisch oder deutsch gesungen wird, dringen im Rummel Textfetzen ans Ohr: „Elon Musk, fick dein Marsprojekt / Scheißkalt und arschweit weg“. Der Peter Fox-Hit von 2022 beweist, dass der DJ gelegentlich auch zu Hiphop greift. Nur für Techno, Pop- und Rock-Klassiker fühlt er sich laut Selbstauskunft nicht zuständig.

Gehrke hat 30 000 Tracks auf dem Laptop

Tanzen ist für Gehrke „ein Lebensmittel“ das er mit wahrhaft missionarischem Eifer verteilt. Der DJ, Veranstalter und Produzent hatte mit Querflöte, Saxofon und Klarinette auf der Straße musiziert, als er in den 1980er-Jahren eher zufällig seine Berufung erkannte. Von der Krankheitsvertretung stieg er bis zum Chef der legendären „Zorba“-Diskothek im Kölner Bhagwan-Imperium auf, bis er nach Bayern zog. Heute lebt Gehrke in einem winzigen Weiler bei Penzberg. Er gibt Gastspiele in Paris, Südkorea oder Mexiko Stadt, tritt aber auch im Bielefelder Wohnzimmer seiner Schwägerin oder im Penzberger Museum und Kino auf. Noch vor der Pandemie eroberte er mit seinem Mischpult das Buchheim-Museum in Bernried, in der Covid-Zeit bediente er Tanzlustige aller Generationen daheim mit Live-Streamings.

Etwa 30 000 Tracks hat er auf dem Laptop, als erfahrener Profi verschmäht Rupidoo feste Konzepte, sondern improvisiert lieber, um spontan auf die Tänzer reagieren zu können. Zur Halbzeit des Abends ist die Tagesbar rappelvoll. Ein Damenkränzchen von drei Frauen um die 30 schickt sich an, den Rekord im Dauertanz aufzustellen. Bald hält es keinen und keine mehr am Tisch: Turnschuhe, Tanzschuhe, Sneakers, Stiefeletten und Pumps hüpfen oder wirbeln übers Parkett. Die weiblichen Besucher sind eindeutig in der Mehrzahl, Turbo-Folk vom Balkan geht gerade am heftigsten ab. Da bleibt kaum eine Verschnaufpause, um das angenehme Ambiente zu mustern, das mit einer Naturstein-Theke aus Jura-Schiefer, Designer-Stehtischen und handgefertigten Wandleuchten glänzt.

Zum Endspurt hin driften Gehrkes Global Beats immer öfter in den Heimatsound ab: Kofelgschroa besingen die Freuden des Wäschetrocknens und Dreiviertelblut fordern zum „Deifedanz“ auf, „Tanz um dein Leben“ empfiehlt Henning Wehland. Schließlich dürfen alle bei einer hochdynamischen Version von „Bella Ciao“ auch noch mitsingen. „War ’n geiler Abend“ findet der DJ zum Abschied. Auch wenn der Abend eigentlich noch jung ist.

„Einfach tanzen“ heißt es wieder am Donnerstag, 17. Oktober, und Donnerstag, 14. November.

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