Tierschutz im Landkreis StarnbergWer keinen Chip hat, ist ein Streuner

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Kerstin Schwarzer (rechts) versorgt eine Katze bei der Chip- und Registrierungsaktion in ihrer Tutzinger Kleintierpraxis. Anja Corbero, zweite Vorsitzende der Tierhilfe Tutzing, assisitiert.
Kerstin Schwarzer (rechts) versorgt eine Katze bei der Chip- und Registrierungsaktion in ihrer Tutzinger Kleintierpraxis. Anja Corbero, zweite Vorsitzende der Tierhilfe Tutzing, assisitiert. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Im Landkreis Starnberg gibt es eine Katzenschutzverordnung, die zunächst nur für Höhenrain und Oberbrunn gilt: Dort müssen Freigänger von März 2026 an registriert sein. Tierschützer fordern eine landkreisweite Regelung.

Von Patrizia Steipe, Tutzing

Ängstlich blicken die beiden Kätzchen aus ihrer Transporttasche. Auf dem Behandlungstisch hat Tierärztin Kerstin Schwarzer bereits die Kanüle für die Chipaktion vorbereitet. „Sieht aus wie eine Spritze mit einem Mikrochip drin“, erklärt sie. Sie zeigt auf das winzige Teil am Ende der Nadel: „Das ist der Chip, kleiner als ein Reiskorn“. Behutsam nimmt sie eines der Tiere, gibt ihm einen schnellen Piks in die linke Seite der Schulter, der Chip wird unter die Haut geschoben – fertig.

Zur Kontrolle fährt die Tierärztin mit dem Lesegerät über den Katzenhals. Eine Nummer erscheint auf dem Display. „Funktioniert“, sagt sie zufrieden. „Aber das Tier muss mit der Nummer noch bei einem Haustierregister wie Tasso oder Findefix gemeldet werden. Chippen alleine bringt nichts“, betont Schwarzer und erledigt das gleich in der Praxis. Ältere Katzen hätten oft noch eine Ohrtätowierung. „Das musste unter Narkose gemacht werden und ist heute nicht mehr üblich“, sagt die Tierärztin.

Neben ihr steht Anja Corbero, zweite Vorsitzende des Vereins Tierhilfe Tutzing. „Die Aktion soll helfen, Hauskatzen von frei lebenden Katzen zu unterscheiden“, erklärt sie. „Viele Streunerkatzen sind krank, unterernährt, voller Parasiten, manche haben schlimme Schmerzen. Und sie vermehren sich unkontrolliert. Es ist furchtbar, was man draußen oft sieht.“

Die Zahlen belegen das: Das Tierheim hat fünf Jahre lang eine Statistik über die Anzahl und den Gesundheitszustand von Streunerkatzen im Landkreis geführt. Bei der Auswertung fielen besonders zwei Dörfer mit übergroßen Populationen an verwilderten Katzen auf. So stammten von den 200 im vergangenen Jahr im Tierheim Starnberg abgegebenen Fundkatzen 40 aus Höhenrain (Gemeinde Berg) und Oberbrunn (Gemeinde Gauting). Landratssprecher Stefan Diebl nennt die beiden Orte „Hotspots“. Immer wieder werden dort schwer kranke Tiere gefunden. „Jungtiere infizieren sich sehr früh mit Krankheitserregern, die schmerzhafte und langwierige Leiden verursachen können“, erklärt er.

Die Kätzchen Mini und Loki, die Ronja Störzer (rechts) zum Chippen vorbeibringt, sind erst drei Monate alt.
Die Kätzchen Mini und Loki, die Ronja Störzer (rechts) zum Chippen vorbeibringt, sind erst drei Monate alt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Nun zieht das Landratsamt Starnberg die Konsequenz: Für Höhenrain und Oberbrunn gilt ab 25. März 2026 eine Katzenschutzverordnung. Katzen mit Freigang müssen dann ab einem Alter von fünf Monaten gechippt oder tätowiert und registriert sein. Streuner ohne Kennzeichen können dadurch identifiziert, eingefangen, behandelt, kastriert und wieder ausgesetzt werden. Die Tiere dürfen dann sogar auf Privat- oder Betriebsgelände gefangen werden. Bei Bedarf kann die Verordnung auf weitere Gemeinden ausgeweitet werden. Nach drei Jahren wird überprüft, ob sie etwas gebracht hat.

In Höhenrain und Oberbrunn haben Tierschützer in der Vergangenheit immer wieder Futterstellen eingerichtet, an denen die scheuen Tiere in Fallen gelockt wurden, um sie zu versorgen und zu kastrieren. Helfer seien jedoch von Anwohnern bedroht worden, kritisiert Claudia Bläser, Vorsitzende des Tierschutzvereins Starnberg und Umgebung.

Dabei bedeuten weniger Streuner auch weniger Krankheiten wie FIP, eine oft tödlich verlaufende Bauchfellentzündung, Toxoplasmose oder FIV, das umgangssprachlich als „Katzen-Aids“ bezeichnet wird. Solche Krankheiten breiten sich in verwahrlosten Populationen besonders schnell aus. Mit der neuen Verordnung haben die vom Landratsamt beauftragten Tierschützer nun rechtliche Rückendeckung.

In Weilheim-Schongau gilt die Verordnung landkreisweit

Grünen-Kreisrätin Andrea Schulte-Krauss reicht das nicht. Sie will eine Ausweitung der Verordnung auf den ganzen Landkreis beantragen. „Die Streunerkatzen gibt es überall. Man sieht sie aber kaum, weil sie sehr scheu sind und sich in leer stehenden Gebäuden oder Ställen verstecken.“ Als Vorbild verweist Schulte-Krauss auf den Nachbarlandkreis Weilheim-Schongau, der die Verordnung landkreisweit erlassen hat. Ihre vier Katzen sind längst gechippt. „So habe ich auch die Chance, sie wiederzubekommen, wenn sie entlaufen, angefahren oder überfahren werden“, sagt sie. „Es ist doch furchtbar, wenn man nicht weiß, was der eigenen Katze zugestoßen ist.“

Schätzungsweise gibt es 300 000 Streunerkatzen in Bayern, weiß Corbero. Immer wieder landen kranke Tiere im Tierheim. „Bei einem Wurf mit Inzestkatzen sind alle gestorben“, erzählt sie. Das Starnberger Tierheim veröffentlicht traurige Schicksale auf seiner Homepage. Auf einem Foto sieht man die zwölfjährige weiß-getigerte Luise. „Sie hatte an beiden Vorderpfoten einen Abszess sowie Hautkrebs an den Ohrrändern und schlechte Zähne“. Im Tierheim wurde sie behandelt und kastriert. Jetzt soll sie einen Platz bei Leuten finden, „die nicht allzu viel erwarten“, denn „angefasst werden mag sie nicht“.

Kranke Streuner verursachen hohe Kosten

Kranke Streuner belasten das Tierheim mit hohen Tierarztkosten, auf denen es sitzen bleibt. „Wir leben von Spenden und stoßen an unsere Grenzen“, sagt Bläser. Wegen der vielen Katzen leisten Mitarbeiter Überstunden. Unkastrierte Hauskatzen verschärfen die Situation, paaren sich mit Streunern, dabei kann eine Katze mehrere Würfe im Jahr bekommen. „Kastrieren gehört deswegen zu einer verantwortungsbewussten Katzenhaltung“, mahnt Landratsamtssprecher Stefan Diebl.

Auch überregional wird das Problem gesehen. Die Tierschutzorganisation Peta schätzt die Zahl der heimatlosen Katzen in Deutschland auf zwei Millionen. Rein rechnerisch können eine Katze und ihre Nachkommen in sieben Jahren bis zu 370 000 Tiere hervorbringen. Die vielen frei laufenden Katzen stellen durch ihren Jagdtrieb mittlerweile eine Gefahr für die Artenvielfalt dar und tragen zum Rückgang vieler Vogel- und Kleintierarten bei. Bundesländer wie Niedersachsen (seit 2023), Bremen (seit August 2025) und Berlin (seit 2022) haben bereits landesweite Verordnungen eingeführt.

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Zurück in die Tierarztpraxis. Eine Frau aus Pähl (Landkreis Weilheim-Schongau) stellt ihre Katze auf den Tisch. „Bei uns gilt die Verordnung ab November. Da komme ich gerade rechtzeitig“, sagt sie. Ein Piks, ein kurzes Maunzen, ein Eintrag ins Register: eine Katze mehr, die im Ernstfall ihren Weg nach Hause finden wird.

Das Tierheim Starnberg veranstaltet eine Chip- und Registrierungsaktionen am 18. Oktober, 14 bis 16 Uhr, in Tutzing, in der Tierarztpraxis von Christine Radwanski-Feldhütter, Traubinger Straße 3. Auch die Tierhilfe Tutzing plant eine weitere Aktion, und zwar am 24. Januar 2026 in der Tierarztpraxis von Kerstin Schwarzer, Hauptstraße 68, in Tutzing.

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