Liederabend:Seelentrip durch Eiseskälte

Schuberts "Winterreise" erklingt zum Finale des Andechser Jubiläumsfestivals - in bezwingend stimmiger Fassung.

Von Reinhard Palmer, Andechs

Liederabend: Feinsinnig und homogen: Bariton Ludwig Mittelhammer und die Pianistin Margarita Oganesjan bei ihrem Auftritt zum Finale des Andechser Kammermusik-Festivals.

Feinsinnig und homogen: Bariton Ludwig Mittelhammer und die Pianistin Margarita Oganesjan bei ihrem Auftritt zum Finale des Andechser Kammermusik-Festivals.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Als Aufführungsort für die intimen musikalischen Formen wie Kammermusik und Liedgesang ist der Andechser Florian-Stadl noch nicht etabliert. Seine Form und Größe sprechen nicht gerade dafür, doch Veranstalter Florian Zwipf-Zaharia baute um, zog mit der Bühne seitlich ins Parkett und ordnete die Sitzreihen hufeisenförmig um das Geschehen an. Denn das erklärte Ziel des "Festivals der Sinnlichkeit" ist: "Musik 'hautnah' (er)leben!"

Den Start im vergangenen Jahr vereitelte Corona, sodass wohl ein neuer Spielplan hermusste. Verschiebbar ist das Event jedenfalls nicht, da es doch ein Jubiläumsfestival ist. Ins Programm kommen Komponisten, deren Geburtstag oder Todestag sich mit einer mehr oder weniger runden Zahl jähren. So waren diesmal die Jubilare Schubert (225), Franck (200) und Skrjabin (150) sowie Brahms mit dem 125. Todestag dran. Als Ausnahme kam die zeitgenössische Komponistin Aziza Sadikova (geboren 1978) aus Taschkent hinzu. Dieses Konzept liefert schon reichlich Abwechslung in der Programmkonzeption, für die Zwipf-Zaharia namhafte Interpreten wie die Quartette Goldmund und Armida, das Henschel Klavier Trio oder Rebekka Hartmann gewinnen konnte. Geht es um Schubert, dürfen Lieder nicht fehlen, auch wenn dieses Genre hierzulande heute nur noch wenige Anhänger findet. Gleich den ganzen Pfingstmontag widmete der Veranstalter mit fünf Konzerten dieser exquisiten Gattung. Zugegeben: Jahreszeitlich passte es nicht ganz. Doch Schuberts mitunter verdüsterter Liederzyklus "Die Winterreise" ist schon ein Muss, zumal wenn es um Sinnlichkeit geht, die ja nicht per se mit Vergnüglichkeit und Dur-Idyll verbunden ist.

Die Ausgabe der Gedichte, die Schubert zunächst verwendete, war mit "Wanderlieder von Wilhelm Müller" betitelt. Es ist sozusagen ein Sinnieren in voneinander unabhängigen Stationen, wobei Schubert eine alles umfassende Atmosphäre als verbindendes Element schafft. Bariton Ludwig Mittelhammer und die aufmerksam mitformende Pianistin Margarita Oganesjan ließen sie nie aus ihrem Empfindungskreis, auch wenn das Sinnliche und Erlebnishafte jeweils ihre eigenen Wege gingen. Schließlich ist das Formen aus dem Text heraus nicht nur musikalisch angelegt, sondern auch in der klassischen Liedinterpretation unbedingt zu befolgen. Mittelhammers Sprachdiktion war so klar, dass die Textprojektionen nicht nötig waren, um den Worten detailliert folgen zu können. Zudem verstand er es, das feinsinnige Changieren in Klangfarben, Dynamik wie auch Agogik eng miteinander in Einklang zu bringen, was den Aussagen Klarheit und Nachdruck verlieh, ohne theatralisch zu wirken. Wie das Duo mit den Emotionen umging, machte die große Stärke dieses Festivalfinales aus. Der große Bogen von süßlichem Liebesschwärmen und feinsinnigem Kolorieren über forsche Heiterkeit bis hin zu erregt forcierender Dramatik und mysteriöser Verdüsterung blieb stimmig und entgleiste nie ins Aufgesetzte. Ludwig Mittelhammer kam mit seiner natürlichen Bühnenpräsenz überzeugend rüber, und mit seiner fesselnden Narration wie intensiven Kommunikation mit den Konzertbesuchern stand auch die Verbindung vom ersten Ton an. Er nahm nicht nur Oganesjan in seine Welt der Emotionen mit, sondern auch das Publikum. Und Schuberts Seelentrip durch menschliche Höhen und Tiefen ist schon eine aufwühlende Reise, die selbst innerhalb eines einzigen Liedes bisweilen meilenweite Entfernungen zurücklegt. Stimmtechnisch vermochte Mittelhammer reich zu differenzieren, sodass jedes noch so rätselhafte Lied sein eigenes Klang- und Stimmungskolorit erhielt. Ein großartiger Liederabend mit einem absolut homogen musizierenden Duo.

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