Kabarett:Ein Ungeziefer namens Heil

Sigi Zimmerschied spielt in Feldafing sein fulminantes Stück über einen Kammerjäger

Von Charlotte Alt, Feldafing

Unverschämt, hasserfüllt, ätzend und trotzdem liebenswert: Sigi Heil verbringt seinen 65. Geburtstag in Einsamkeit. Die Figur in Siegfried Zimmerschieds Programm "Heil - Vom Koma zum Amok" ist kompliziert und vielschichtig, abstoßend und berührend zugleich. Zimmerschied, ein "Urgestein" des Kabarett, wie Petra Hemmelrath, die Organisatorin des Kunst- und Museumsvereins Feldafing, den gebürtigen Passauer in ihrer Ansprache nennt, spielt in Feldafing vor ausverkauftem Haus. Es wird viel gelacht an dem Abend, doch am Ende des Stücks herrscht erst einmal benommene Stille. Es dauert, bis der tobende Applaus einsetzt.

Außer Gewalt hat der Kammerjäger Sigi Heil in seinem Leben nichts wirklich gekonnt. Zu seiner Geburtstagsfeier kommt niemand, es gibt keine Geschenke und keine festlichen Reden. Also schimpft er auf die Welt und die ausbleibenden Gratulanten, trinkt sich mit Wodka seine Einsamkeit hinfort und beschwört Erinnerungen in die Gegenwart hinauf, um von der eigenen Trauer abzulenken. Auf dem Tisch liegt nur ein einziges Kuvert. Sein Rentenbescheid. Ganze 257 Euro soll er bekommen. Nicht nur von seiner Familie und seinen Freunden, sondern auch vom Staat allein gelassen und verstoßen, will Sigi Heil ein Massaker veranstalten.

Zimmerschied versteht es, mit den Zuschauern zu spielen, sie aus der Reserve zu locken und ihnen die hässlichen Abgründe des menschlichen Daseins zu zeigen. Man ist sich manchmal nicht ganz sicher, ob Lachen die richtige Reaktion ist. Zum Beispiel, wenn Zimmerschied mit dem Publikum das Massaker vorbereitet. Unter den Zuschauern sucht er ein unschuldiges Opfer, zwei, die das Geschehen filmen, und einen Helden. Alle anderen sind Täter. Bis zum Schluss ist es nicht klar, ob er das Massaker verwirklichen will, ob alle zu Mitläufern werden. Je länger es dauert, desto mehr beginnt man, über das eigene Mitwirken nachzudenken, und realisiert, zu was Menschen in der Lage sein könnten. Die gegenwärtige Enttabuisierung der Gewalt ist das zentrale Thema des Programms. "Du hast sie an das Böse erinnert", sagt Sigi Heil über sich selbst. Durch ihn habe die Kirche gelernt, dass sie das Böse braucht, um zu überleben, verkündet er stolz und erzählt Geschichten seiner Gewalttaten.

Und gerade wenn man den Menschen zu verachten beginnt, dreht Zimmerschied das Ganze um, zeigt sein Leid und seine Einsamkeit. Zwar ist Sigi Heil voller Wut und Aggression und als Mensch auf den ersten Blick abstoßend, doch zwischen Schimpftiraden und Wutausbrüchen, wird deutlich, dass das alles nur Ablenkung ist. "Warum kommt keiner? Sind das alles Monster?", fragt sich Sigi zwischendurch enttäuscht. Am Ende beschließt er resigniert: "Es ist sinnlos, wirklich sinnlos."

"Heil - Vom Koma zum Amok" ist ein nichtendender Redeschwall, Zimmerschied springt von einem Thema zum anderen, auf den ersten Blick wirkt das unsortiert, unverständlich und zuweilen befremdlich. Die Witze sind grenzwertig und doch genau kalkuliert. Jede Mimik, Gestik, jeder Tonfall, jeder Themenwechsel ist exakt bemessen. Die subtilen Zusammenhänge werden erst ganz am Ende offenbart. Und obwohl Sigi Heils Hass auf die Welt einem unentwegt entgegenschlägt, bleibt zuletzt keine Wut, sondern Mitgefühl an seinem Leid. Nach dem misslungenen Massaker sitzt der Schädlingsbekämpfer wieder oben alleine auf der Bühne. Das Wodkaglas in der Hand. "Es ist eine ehrenhafte Aufgabe, die Welt von Ungeziefer zu befreien, aber es ist eine größere Ehre, sich selber als solches zu erkennen."

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