Süddeutsche Zeitung

Junge Mode:Frisch aus dem Container

Die Modenschau auf dem Starnberger Wertstoffhof

Von Patrizia Steipe, Starnberg

Unablässig rattern die zwei Nähmaschinen auf der Bühne des Starnberger Wertstoffhofs. Die beiden Näherinnen, Stephanie Müller aus München und die ehemalige Villa-Waldberta-Stipendiatin Lisa Simpson aus Brasilien, blicken bei ihrer Nähmaschinenperformance stoisch auf ihre Stoffbahnen, die sie in die Maschinen eingespannt hatten. Zwischen das Rattern streuen die Performerinnen atonale elektronische Töne, hin und wieder einen monotonen Singsang, Füße klappern im Rhythmus und kaum verständlich ertönen blecherne Wortfetzen, die durch einen Telefonhörer gesprochen werden. Minutenlang geht es so. Während sich ein Teil des Publikums fast schon meditativ in die Eintönigkeit der Vorführung hingibt, fangen andere an, mit den Füßen zu scharren. Sie vermissen die Spannung, den schnellen Wechsel und die kurzen Szenen, an die sie wegen der Sprunghaftigkeit der Medienwelt gewohnt sind.

Das Fehlen eines Spannungsbogens auf der Bühne war Absicht. Es wies auf die Diskrepanz hin zwischen dem Wahrnehmen von Kleidung als schnelllebigem Konsumprodukt und dem mühsamen und zeitaufwendigen Herstellen von Hemden und Hosen in den Textilfabriken Indiens. Der Wertstoff "Stoff" stand schließlich im Mittelpunkt dieses Events, das zum Festival "Schön jung" von den Kunsträumen am See initiiert wurde. Sophie Kellner, Textilbetriebswirtin und Studentin des Fachs Textile Produktionstechnologie in Albstadt, hatte die Performance zum 50. Geburtstag des Starnberger Abfallwirtschaftsverbands konzipiert, um für das Thema textile Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Die große Halle auf dem Recyclinghof bot die perfekte Bühne für das Vorhaben. Allerdings hatten die Künstler sie für den Höhepunkt des Abends, eine alternativen Modeschau mit Mode von umweltbewusst arbeitenden deutschen Designern, ein wenig verändert. Müllsäcke voller Altkleider waren dekorativ in umgekippte Container gelegt worden. Aus alten Hosen und Röcken hatten die Künstler einen riesigen Vorhang genäht, aus dem die Models auf den Laufsteg kamen.

Die Modenschau entschädigte die Ungeduldigen. Attraktive Models, originelle Kollektionen von Designern aus München bis Berlin, die Wert auf die ökologische und nachhaltige Herstellung legen, und eine professionelle Show mit aufpeitschender Clubmusic brachten Stimmung in die Halle. Unter dem Motto "Upcycling" waren Altkleider neu interpretiert worden. Bei Sophie Kellners Marke Palinka wurden so aus Hemden lockere Chinohosen mit dekorativen Knopfleisten. Die Münsteraner Designerin Birgit Käufer verwendete für ihre sommerliche weich fallende Kollektion industrielle Stoffmuster. Dabei hat sie die aufgedruckten Stoffnummern, die normalerweise weggeschnitten werden, bewusst als optischen Blickfang eingesetzt. Kerstin Hoffmanns nachhaltige Kollektion entstand im Rahmen ihrer Bachelorarbeit. Witzige Schnür- und Bänderoberteile trugen ihre Models über minimalistisch geschneiderten Kleidern. Einziger Unterschied zu den Glamourshows internationaler Modehäuser: In der ersten Reihe saßen nicht VIPs wie Anna Wintour oder Victoria Beckham, sondern Awista-Geschäftsführer Peter Wiedemann.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2015
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