Aus der ganzen Welt ist die bunte Truppe nach Possenhofen gekommen, um im Kleinen gegen Populismus, Extremismus und das Böse in der Welt zu kämpfen. Die 84 Jugendlichen aus Taiwan, Italien, Ungarn, Frankreich, Polen und den Landkreisen Starnberg, Mittelsachsen und Bad Dürkheim haben trotz aller Unterschiede ein Bild der Hoffnung abgegeben. Über Grenzen hinweg haben sie es zusammen unter dem Motto „Create tomorrow – be a positive changemaker“ den Regierungen vorgemacht, wie eine produktive Zusammenarbeit funktionieren kann. Mit einer Abschlussshow beschlossen die jungen Menschen ihre Camp-Woche in der Jugendherberge Possenhofen.
Die Stimmung ist unruhig an diesem warmen Mittwochnachmittag. Nervosität macht sich in der Jugendherberge breit, keiner steht still. Die Jugendlichen wissen: Gleich geht es los mit den Gruppenpräsentationen. Auf die Bühne tritt nun Tanja Willadsen. Die Teamleiterin eröffnet die Show, mehrmals brandet tosender Applaus auf.
Auch Lena Stepper – Leiterin des Teams Jugendarbeit und kommunale Jugendpflegerin – richtet ein paar Worte an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie und ihr dreiköpfiges Team organisieren das Camp alle zwei Jahre, um Starnbergs nationale und internationale Partnerschaften zu stärken sowie kulturellen Austausch zu ermöglichen. Bereits zur Eröffnung des Jugendcamps gab es ein besonderes Zeichen der Freundschaft: Hans-Ulrich Ihlenfeld – Landrat des Starnberger Partnerlandkreises Bad Dürkheim – pflanzte gegenüber dem Gebäudeeingang der Jugendherberge zehn Rebstöcke. Schon seit 1982 besteht zwischen den Landkreisen Starnberg und Bad Dürkheim eine enge Partnerschaft.
In diesem Jahr hat Steppers Team pädagogisch etwas vollkommen Neues gewagt: Erstmals dürfen sieben national gemischte Kleingruppen ein selbst gewähltes Zukunftsthema bearbeiten. Unterstützt werden sie dabei von Kulturschaffenden wie der deutsch-mexikanischen Hip-Hop-Sängerin Taiga Trece aus München. Zudem gibt es parallel zu den Olympischen Spielen in Paris eine Spaß-Olympiade, einen Ausflug nach München und eine große Abschlussparty im Q-Stall, dem Jugendtreff in Pöcking.
Das neue Konzept scheint die Jugend voll abzuholen: „So viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten wir in der über 20-jährigen Geschichte des Camps noch nie“, sagt Stepper, „ich freue mich schon auf die Party am Abend.“ Für die meisten Jugendlichen ist die Feierei aber gerade noch ganz weit weg. Ihr Puls steigt – einmal noch tief durchschnaufen, dann geht’s rauf auf die Bühne.
Als erstes ertönt ruhige Klaviermusik, ergänzt durch sanfte, elektronische Klänge. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer stehen in Zweiergruppen hintereinander. Ihre Körper bewegen sich rhythmisch im Takt. Das Tempo ist langsam. Doch dann wird’s plötzlich schnell und poppig: Aus den Boxen dröhnen jetzt Bruno Mars’ weltweit gefeierte Hits „24K Magic“ und „That’s what I like“. Nach unzähligen selbst-choreografierten Tanzeinlagen und Stimmungswechseln ist es dann endlich geschafft. Das Publikum klatscht begeistert.
Als Nächstes ist der Kunstworkshop dran. Das Highlight dabei? Ein selbst gebauter, menschengroßer Roboter aus Pappe. Die Arbeitsgruppe hat darüber diskutiert, wie die Maschinen in Zukunft aussehen und der Menschheit helfen könnten. Der Starnberger Landrat Stefan Frey (CSU) begrüßt diesen regen interkulturellen Gedankenaustausch. „Junge Menschen unserer europäischen Nachbarn wie aus unseren Partnerregionen in der Pfalz und in Taiwan kommen hier zusammen“, betont er, „und lernen mit- und voneinander“. Das sei in unserer Zeit besonders wichtig. Um globale Probleme in der Zukunft lösen zu können, sei es wichtig, positiv an diese heranzugehen.
Der Gedankenaustausch fand aber nicht nur verbal statt: Wenn die Englischkenntnisse nicht ausgereicht hätten, sei auch mal ein Online-Übersetzer eingesprungen, so Stepper. Zur Not habe man sich mit Händen und Füßen verständigt. Die kommunale Jugendpflegerin findet: „Kommunikation ist weit mehr als nur Sprache.“
Workshopgruppe Nummer drei steht mittlerweile in den Startlöchern. Und jetzt wird’s ganz wild: Die Jugendlichen liegen quer durcheinander auf mehreren Sofas im Eingangsbereich der Jugendherberge herum. Ihre Augen sind geschlossen. Sie pfeifen, summen und schnalzen, bis sie aufspringen und die Performance sich im ganzen Haus verteilt. Ziemlich merkwürdig das alles; im Publikum macht sich Verwirrung breit. Keiner versteht die Performance. Teamleiterin Maria will am Ende nichts verraten: Jeder solle selbst entscheiden, welche Aussage die Präsentation für das übergeordnete Thema Zukunft transportiere.
Anschließend fliegen beim Märchen „Hänsel und Gretel“ taiwanesische Süßigkeiten vom Himmel und junge Designer präsentieren ihre neuen alten Kleidungsstücke bei einer Modeschau. Felix, 15 Jahre alt und ursprünglich aus Russland, zeigt dem Publikum einen einzigartigen Rock. „Sexy“, wie er sagt. An der Nähmaschine hat er diesen aus verschiedenen Altkleidern neu zusammengesetzt. Mit den Kreationen will der Upcycling-Workshop ein Zeichen gegen die Fast-Fashion-Industrie setzen.
Beim Filmworkshop ist es plötzlich mucksmäuschenstill, als der eigens für die Show gedrehte Film die Kriege und Naturkatastrophen unserer Zeit thematisiert. Er soll für die Menschen in 100 Jahren eine mahnende Nachricht sein, mit den verfügbaren Ressourcen besser umzugehen und für Frieden zu sorgen. Beim Anschauen bekommen einige Teilnehmer immer wieder ein beklemmendes Gefühl. Die Stop-Motion-Effekte wirken apokalyptisch. Gibt es in Zukunft eine bessere Welt?
Zum Abschluss wird es dann noch einmal emotional: Eleonor, 15 Jahre alt aus Frankreich und nur „El“ genannt, rappt die Zeilen „no wars, more flowers“ fast wie Sänger Apache 207. Hinter ihr stehen weitere Mädchen und summen die Hintergrundmelodie. Nach der Aufführung schwärmt „El“ von der Hilfsbereitschaft in der internationalen Gemeinschaft. Anschließend gibt es ein rockiges Gitarrensolo von Szilad aus Ungarn und ein selbst komponierter taiwanesischer Popsong wird aufgeführt. Das Publikum tobt. Sängerin Taiga Trece – Leiterin des Musikworkshops – ist sichtlich stolz auf ihre Gruppe. Es sei sehr hart, einen Song in so kurzer Zeit zu schreiben, einzuüben und dann auch noch aufzuführen, erklärt sie dem ergriffenen Publikum.
Am Ende gibt’s ein paar Freudentränen
Nach gut zwei Stunden fällt der Vorhang: Nach der letzten Strophe strömen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer strahlend auf die Bühne. Auch Teamleiterin Willadsen überkommen die Emotionen; Freudentränen kullern ihr übers Gesicht. „Alle waren von Anfang an hoch motiviert“, erzählt sie begeistert. Sie bewundert den Mut der Jugendlichen, neue Dinge auszuprobieren. Dabei habe man im Camp auch brenzlige Momente durchgestanden: Zwei der jungen Teilnehmer mussten wegen der Hitze kurzfristig ins Krankenhaus gebracht werden. Mittlerweile seien die beiden aber wieder wohlauf in der Jugendherberge.
Willadsen hat sich zum ersten Mal in ihrem Leben ehrenamtlich bei einem Event engagiert, wie sie erzählt. Eigentlich arbeitet die gebürtige Dänin als Ingenieurin in der deutschen Automobilindustrie. Sie wollte abseits der Arbeit mal etwas Neues wagen; mal komplett „rauskommen“, wie sie sagt.
Nun kann die von Stepper angekündigte große Abschlussparty im Q-Stall starten. Für einige der Feierwütigen dürfte die Nacht aber sehr kurz werden: Ihr Flieger geht schon um 4.30 Uhr zurück in Richtung Heimat. Die Taiwanesinnen und Taiwanesen bleiben dagegen noch eine weitere Woche in Deutschland. Sie haben vor dem Camp bereits an einem Schüleraustausch mit dem Gymnasium Kempfenhausen teilgenommen, waren auf der Zugspitze und haben Innsbruck besucht. Untergebracht wurden sie bei 23 Gastfamilien.
Zurück in Neu-Taipeh wird wieder einiges anders sein. Die Betreuerinnen Mei-Ting Lin und Ya-Han Yang berichten von kulturellen Unterschieden: Im Gegensatz zu den Europäern seien junge Taiwanesen anfangs oft sehr schüchtern und würden zu allem Ja sagen. Auch das Essen ist anders. „In Taiwan gibt es ganz andere Süßigkeiten und Nudeln als hier“, sagt Yang. Allerdings hätten ihre Schülerinnen und Schüler die asiatischen Nudeln jeden Abend mit den Italienern, Ungarn, Franzosen, Polen und Deutschen geteilt. Essen kann in Zeiten von übersteigertem Nationalismus, wachsendem Fremdenhass und gesellschaftlicher Spaltung ziemlich verbinden. Und: Die taiwanesischen Jugendlichen hätten gelernt, Liebe anzunehmen und zu geben. Ein schönes Andenken an Possenhofen.