50 Jahre Lebenshilfe:Das gibt es nur in Starnberg

Lebenshilfe Starnberg

Guter Dinge: Die Lebenshilfe unternimmt mit ihrer Gründerin Barbara Eberhard und Michael Schanze (3. und 5. v.li.) einen Ausflug im VW-Bus.

(Foto: Lebenshilfe)

Hans Albers und Michael Schanze waren frühe Förderer des Vereins, der heute 17 Einrichtungen betreibt und junge wie alte Menschen mit Behinderung betreut. Immer noch gehen Tantiemen für Lieder ein.

Von Manuela Warkocz

Es fing an mit "Sabinchen", wie Barbara Eberhard ihre Tochter liebevoll nannte. Das Mädchen war durch ein Geburtstrauma schwerst spastisch gelähmt. Als Sabine nach zehn Jahren das Spastikerzentrum in München verlassen musste, gab es im ganzen Landkreis Starnberg keine einzige geeignete Einrichtung für Kinder mit Behinderungen.

Die Gautinger Ärztin Barbara Eberhard wollte ihre Tochter aber nicht außerhalb des Landkreises in einer "Hilfsschule" oder einem "Heim" unterbringen. Deshalb ergriff sie selbst mit anderen Eltern, einigen Ärzten und Psychologen die Initiative. Am 29. Januar 1971 gründeten sie den Verein "Lebenshilfe Kreisvereinigung Starnberg für geistig und körperlich Behinderte". Aus der anfänglich kleinen Sonderschule in Garatshausen ist heute, nach 50 Jahren, ein mittelständischer Betrieb geworden - mit 17 Einrichtungen, in denen 300 Mitarbeiter rund 900 Kinder, Jugendliche und Erwachsene betreuen.

"Um ein Unternehmen wie die Lebenshilfe Starnberg auf die Beine zu stellen, braucht man Schwung, Mut zum Risiko und ein bisschen Verrücktheit", sagte Eberhard, die 33 Jahre für die Lebenshilfe tätig war, einmal in einem Interview der SZ. In Garatshausen pachteten die Eltern die ehemalige Kinderklinik samt Park am See. Und schon am 9. September 1971 eröffneten sie die erste Sonderschule mit Tagesstätte und Vorschule im Landkreis. 35 Kinder wurden unterrichtet. Später kam auf dem Gelände die erste Frühförderstelle dazu und eine Werkstatt für Schulabgänger.

Gute Beziehungen zu Prominenten halfen vor allem in der Anfangszeit. Als Nachbar in Garatshausen unterstützte Schauspieler Hans Albers die Lebenshilfe. Nach seinem Tod vermachte dessen Lebensgefährtin Hansi Burg alle Drehbücher, Rechte auf Schallplatten, Kostüme und Möbel dem Verein. Aus der Versteigerung wurden 300 000 Mark erlöst. Noch heute fließen Tantiemen an die Lebenshilfe, wenn im Radio ein Albers-Lied gespielt wird. Dafür kümmert sich der Verein um das Grab von Hansi Burg auf dem Tutzinger Friedhof. Auch Sänger und Entertainer Michael Schanze gehörte jahrelang zu den Gönnern. Er kannte Familie Eberhard seit seiner Schulzeit und auch die schwerbehinderte Sabine. Schanze ließ regelmäßig Beträge von seinen Honoraren überweisen, brachte mal ein Auto für ein Wohnheim, mal ein Klavier für die Francis Band mit.

Als er vor 25 Jahren zu einer Fernsehaufzeichnung nach Neukirchen in Österreich fuhr, handelte er mit dem dortigen Bürgermeister für die Kinder aus Garatshausen einen einwöchigen Urlaub in Neukirchen aus. Die Kosten teilten sich die beiden. Bis heute läuft die jährliche Fahrt nach Neukirchen, finanziert von anderen Spendern.

Waren die Lebenshilfe-Angebote anfangs auf behinderte Kinder und deren Eltern ausgerichtet, erstreckt sich die Unterstützung inzwischen auf alle Altersstufen: vom Neugeborenen mit der Harlekin-Nachsorge zusammen mit dem Klinikum Starnberg bis zur Betreuung im Rentenalter. Die Einrichtungen reichen vom Lernen übers Arbeiten bis zum Wohnen. Möglichst gemeindenah sollen sie im Landkreis für alle Betroffenen gut erreichbar sein. Ganz gleich, wie schwer jemand körperlich, geistig oder seelisch behindert ist - "Hilfe zur Selbsthilfe" und das Entwickeln individueller Stärken werden als vordringlich angesehen. Die Lebenshilfe-Kinderkrippen, -Kindergärten und -Horte verstehen sich für Kinder mit und ohne Behinderung. Als Leitsatz gilt "das Miteinanderleben von Menschen mit und ohne Behinderung und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben". Ausdruck davon ist unter anderem das jährliche integrative Sportfest auf dem Sportgelände des SV Söcking. Im Sinn der Inklusion laufen unter anderem Kooperationen mit Schulen, Projekte mit der VHS Starnberg und der DJK Würmtal.

In den 1980er-Jahren wurde deutlich, dass für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung eigene Wohnformen nötig sind. 1985 konnte die Lebenshilfe das erste Wohnheim in der Hanfelder Straße und 1989 im Prinzenweg eröffnen. Schule und Heilpädagogische Tagesstätte zogen in das neue Sonderschulzentrum nach Söcking, wo die Franziskus-Schule fest verankert ist.

Perspektiven auf Ausbildung und Arbeit bieten die Isar-Würm-Lech-Werkstätten für behinderte Menschen (IWL), bei denen die Lebenshilfe Starnberg Gesellschafter ist. An den Standorten Machtlfing, Landsberg und München können Menschen mit Behinderung entsprechend ihrer Fähigkeiten berufstätig sein, etwa in Schreinerei, Garten- und Landschaftspflege, Hauswirtschaft, Industrie-, Elektro-, Hygiene- und Verpackungsmontage.

Weil der Ausstieg aus dem Arbeitsleben und das Rentenalter für jeden Menschen einen Umbruch mit sich bringt, begleitet die Lebenshilfe auch bei diesem Übergang inzwischen ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Ausflüge, Unternehmungen und Beschäftigung gehören ebenso dazu wie Ruhe und Pflege.

Und wie geht es weiter? Christian Münzel, der 2001 die pädagogische Leitung der Lebenshilfe Starnberg übernahm und seitdem für alle 17 Einrichtungen zuständig ist, findet, dass "unsere Einrichtungen und Dienste sich künftig noch stärker am Willen und an den individuellen Lebensentwürfen der Menschen mit Behinderung orientieren müssen". In vielen Bereichen sollen noch differenziertere, vielgestaltigere und individuellere Lösungen gefunden und Menschen mit Behinderung von Beginn an in Planung und Entwicklung neuer Projekte miteinbezogen werden. Mit eigenen Diensten will die Lebenshilfe die Inklusion von behinderten Kindern und Jugendlichen in Regelschulen unterstützen. Für wünschenswert werden neben Partnerklassen in Grundschulen auch welche in der Mittelschule gehalten. Das Hauptproblem: gutes und ausreichendes Personal auf dem angespannten Arbeitsmarkt für soziale Berufe zu finden.

Corona prägt seit vergangenem Jahr auch bei der Lebenshilfe den Alltag. "Die größte Herausforderung ist die Unsicherheit", sagte Münzel der SZ im Dezember, als er beschrieb, wie sich die Pandemie auf Menschen mit Behinderung auswirkt. Aktuell heißt es von der Geschäftsstelle, dass es "bisher Gott sei Dank noch keine Corona-Fälle bei unseren betreuten Menschen mit Behinderung und auch keine Fälle bei deren Betreuern" gegeben habe, nur "Quarantänesituationen in den Wohnheimen". Die Bewohner könnten wieder zur Arbeit in die IWL-Werkstätten nach Machtlfing gehen - was Eltern durchaus unterschiedlich bewerteten, wie der Vorstandsvorsitzende des Vereins Lebenshilfe, Werner Blank, weiß. "Die einen begrüßen die Öffnung, weil ihre Kinder gern arbeiten und die Tagesstruktur vermisst haben, andere sehen die Gefahr der Ansteckung im Vordergrund", sagt er.

Vieles hat die Lebenshilfe für ihren runden Geburtstag in diesem Jahr geplant, einiges ist von Corona-Einschränkungen beeinträchtigt. Was schon vorliegt, ist das 130 Seiten starke, fröhlich-bunte Jubiläumsbuch mit dem Titel "50 Jahre füreinander - ein Engagement feiert Jubiläum". Darin Geschichten, Zeitungsausschnitte und Interviews über den Werdegang, aber vor allem Fotos und Berichte von betreuten Menschen, ihren Familien. Der frühere Landrat Karl Roth verrät, dass er sich besonders gern an die gemeinsame "Inklusionssportstunde" mit Kindern und Jugendlichen und das Bowlen mit den "Jungen Wilden" erinnere. Die Francis Band aus der Franziskus-Schule und Heilpädagogischen Tagesstätte der Lebenshilfe Starnberg will mit Erik Berthold eine Jubiläums-CD produzieren, was die Pandemie derzeit blockiert. Eine Wanderausstellung im Landkreis ist ebenso geplant wie eine Kunstaktion von Schülerinnen und Schülern der Franziskus-Schule. Der offizielle Festakt des Jubiläums soll im Oktober in der Schlossberghalle steigen.

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