Süddeutsche Zeitung

Auftritt in Gilching:Die Geschichte eines Unbeugsamen

Die Schauspielerin Jovita Dermota gibt bei einem lehrreichen Abend Einblicke in das Leben des Komponisten Dmitri Schostakowitsch.

Von Reinhard Palmer, Gilching

Musik vermag die unterschiedlichsten Emotionen zu wecken, ja ganze Empfindungslandschaften zu kreieren. Das ist eine großartige Qualität, die aber vor Missbrauch nicht geschützt ist. "Bösewichter haben keine Lieder", schrieb einst Johann Gottfried Seumes in seinem Gedicht "Die Gesänge" - und irrte. Musik kann selbst den grausamsten Regimen zur falschen Ruhmesbezeugung, zur Legitimation der eigenen Macht und nicht zuletzt zur Inszenierung von Personen - wie etwa das zaristische gebaren Wladimir Putins - und Ideologien dienen.

Josef Stalin und die sowjetische Parteiriege wussten sehr wohl um die Macht der Musik wie generell der Künste, die sie sich seit Ende des Bürgerkriegs 1921 zunutze machten. Und kein Komponist jener Zeit verstand es mehr als Dmitri Schostakowitsch, wie manipulativ Musik sein kann, hat er doch schon als Jugendlicher begonnen, bei Filmvorführungen am Klavier improvisierend für die adäquaten Emotionen zu sorgen, ja im Grunde die Bilder auf der Leinwand für die Zuschauer zu deuten.

"L'art pour l'art", so die Leitidee Schostakowitschs

Der Haken an der Sache: Schostakowitsch hatte andere Ideen als Stalin und seine nicht minder grausamen Vasallen. "Es kann keine Musik ohne Ideologie geben", so die lenintreue Meinung, während sich Schostakowitsch mit dem Blick über den Tellerrand von der Idee des "L'art pour l'art", "weil Musik letzten Endes der Musik gehörte", leiten ließ. Ein Spannungsfeld, in dem sich seine Werke stets bewegten und nun der musikalischen Lesung des Kunstforums Gilching in der Gymnasiumsaula zentrales Thema war.

Die Theaterschauspielerin Jovita Dermota verstand es einmal mehr, in fesselnder Diktion Quellen wie vor allem das Buch "Der Lärm der Zeit" (2016) des britischen Schriftstellers Julian Barnes (geb. 1946) und Aufzeichnungen von Begegnungen sowie Korrespondenz des polnischen Komponisten Krzysztof Meyer (geb. 1943) mit Schostakowitsch thematisch punktgenau zu fokussieren.

Für Schostakowitsch war die kompositorische Arbeit ein Spießrutenlauf zwischen bei den Sowjets Skepsis weckender Anerkennung im Ausland und direkter Bedrohung des Stalin-Regimes. Aufgeben kam nicht in Frage, "und wenn sie mir beide Hände abhacken, werde ich mit den Zähnen eine Feder halten und weiter Musik schreiben ...", soll er gesagt haben. Was das langjährig zusammenarbeitende Duo Eva-Maria May (Klavier) und Klaus Kämper (Violoncello) hier an Musikbeispielen aus der Feder des Komponisten bot, bezeugte aber, dass er durchaus darum bemüht war, seine avantgardistische Position zu chiffrieren, zumindest nicht in letzter Konsequenz mit schneidender Schärfe in den Vordergrund zu stellen.

Als Zwischenmusiken zu den Texten griffen die beiden renommierten Musiker zu Miniaturen und Themen aus größeren Werken zurück, die trotz Unabhängigkeit doch eine durchaus narrative Note, vor allem aber eine große Bandbreite an Ausdrucksformen attestierten. Was Schostakowitsch zu erzählen hatte, war allerdings nie ideologisch, schon gar nicht heroisch. "Das Pathos der Technik beherrschte viele Köpfe der Künstler", zitierte Dermota, doch für Schostakowitsch sei die industrielle Aufbruchsstimmung kein künstlerisches Thema gewesen. Er knüpfte vielmehr an Traditionen an und griff auch die russische Folklore auf, was ihm zunächst Zuspruch brachte, so schon mit der ersten Sinfonie des 19-Jährigen zum Abschluss seines Studiums.

"Chaos statt Musik", titelte die linientreue Zeitung Prawda

Etwa zehn Jahre später folgte mit der Oper "Lady Macbeth von Mzensk", die im Westen mit Begeisterung aufgenommen wurde, der Absturz: "Chaos statt Musik" habe die linientreue Zeitung Prawda eine Kritik betitelt, die man sogar Stalin selbst zuzuschreiben geneigt ist. Interessant dazu die von Dermota vorgetragene Überlieferung, dass die Parteiriege samt Stalin in einer mit Stahlplatten gesicherten Loge direkt über dem Schlagwerk und den Blechbläsern saß.

War die Tragödie Schostakowitschs der Akustik geschuldet? Sicher nicht nur, denn auch die für die Genossen allzu vulgäre Erotik fand Anstoß. Schostakowitsch habe gekleidet und mit gepacktem Koffer Tag und Nacht auf eine Verhaftung gewartet. Seine Cellosonate d-Moll op. 40 entstand 1934 noch vor dem "historischen Verdikt". Trotz des Bekenntnisses zur klassisch-romantischen Formtradition griff das Duo Kämper und May beherzt zur Substanz und zeitgemäßen Spannung, die der Komponist als gemäßigter Avantgardist mit viel Fingerspitzengefühl zur Verfügung stellte und mit überraschender Zartheit kontrastierte.

Was hier als das Ureigene des Komponisten präsentiert wurde, war vor allem die Lust an Brüchen und Überraschungen wie an Widersprüchen zwischen elegischem Gesang und wild-sarkastischem Tanz, mit denen Schostakowitsch jeglicher Seichtheit trotzte. Eine Zugabe beschloss den aufschlussreichen Abend.

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