Musik:Brahms in Tutzing: Jeden Morgen in den See

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Der Komponist Johannes Brahms auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1870; damals besuchte er schon Bernried. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Der Komponist genießt die Sommerfrische in einer Pension und schwärmt: "Weit schöner, als wir uns neulich vorstellen konnten". Der Autor Christian Lehmann berichtet über diese Episode vor 150 Jahren - ein leicht gekürzter Auszug aus seinem Buch "Blauer Himmel Blaue Wogen".

Von Christian Lehmann, Tutzing

Tutzing hat nicht nur ein Brahms-Denkmal, sondern auch einen Brahmsweg, eine Brahmspromenade, einen Brahmspavillon und die jährlichen Tutzinger Brahmstage. Auch wenn Tutzinger Cafés bisher keine Brahmskugeln anbieten, gehört der berühmte Komponist aus Hamburg doch zum Tutzinger Inventar.

1872 fasste Johannes Brahms in seiner Wahlheimat Wien endgültig Fuß und übernahm die Leitung der Konzerte der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde. In den Sommermonaten aber pflegte er, sich zum Komponieren aufs Land zurückzuziehen. Zwischen 1864 und 1872 suchte er immer wieder Lichtenthal bei Baden-Baden auf, wo seine Seelenfreundin Clara Schumann, die Witwe Robert Schumanns lebte. Auch 1873 hatte Brahms vor, nach Lichtenthal zu fahren, doch aufgrund einer Verstimmung zwischen ihm und Clara entschied er sich dann für den See, den er bereits bei einem Besuch bei den Gebrüdern Lachner in Bernried im Jahr 1870 kennenlernen konnte.

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Mit zwei Freunden, dem Dirigenten Hermann Levi und dem Kupferstecher Julius Allgeyer unternahm Johannes Brahms von München aus eine "vorläufige Rekognoszierungstour" zum Starnberger See, bevor er sich am 14. Mai 1873 im Gasthaus Amtmann in Tutzing niederließ und an Levi schrieb: "Tutzing ist weit schöner, als wir uns neulich vorstellen konnten. Eben hatten wir ein prachtvolles Gewitter; der See war fast schwarz, an den Ufern herrlich grün, für gewöhnlich ist er blau, doch schöner, tiefblauer als der Himmel, dazu die Kette schneebedeckter Berge - man sieht sich nicht satt."

Von Christian Lehmann stammt das Buch "Blauer Himmel Blaue Wogen", das 2020 beim Apelles-Verlag in Starnberg erschienen ist. (Foto: Nila Thiel)

Über den Aufenthalt des Komponisten in der Pension, die heute ein privates Wohnhaus ist, berichtet der erste Brahms-Biograf Max Kalbeck: "Im Wirtshause des Herrn Amtmann ließ sich behaglich und unangefochten leben, und obwohl die Küche das bajuvarische Kalb in allen Formen abwandelte, gebrach es daneben doch nicht an Hechten, Renken und Forellen, und das selbst in München berühmte braunrötliche Bernrieder Bier würzte das einfache Mahl. Dort mietete sich Brahms ein. Er bezahlte für Zimmer und Schlafkammer monatlich fünfundzwanzig bayerische Gulden und sechs für ein unstimmbares, miserables Klavier. Gänsbacher (ein Wiener Gesangspädagoge), der Brahms besuchte, erschrak, als er es berührte. "Ja", sagte Brahms, "das habe ich mir nur gemietet, damit niemand darauf spielt." Es war das Amtmannsche Hausmusikmöbel. Wollte er ein besseres Instrument unter die Finger bekommen, so musste er entweder nach Bernried zu Lachners wandern oder im "Voglhäuschen" einbrechen. So wurde der lustige Pavillon genannt, den sich das Ehepaar Vogl auf einer in den See hinausgestreckten Landzunge erbaut hatte.

Ein Gedenkstein an der Uferpromenade in Tutzing erinnert an den Komponisten Johannes Brahms. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Die Brahmspromenade: Auch dieser Bereich am Seeufer ist an den Komponisten benannt, der hier sein morgendliches Bad genoss. (Foto: Arlet Ulfers)

Von Tutzing aus fuhr Brahms mehrmals nach München, traf Levi, besuchte die Kunstsammlungen und lernte den Dichter Paul Heyse kennen, der ihm den Entwurf für ein Opernlibretto geschickt hatte. So wäre Brahms am Starnberger See beinahe zum Opernkomponisten geworden. Doch daraus wurde nichts. Dennoch gestalteten sich die vier Monate am Starnberger See für den Komponisten sehr fruchtbar.

Er vollendete acht Lieder und Gesänge op. 59 nach verschiedenen Dichtern und die zwei Streichquartette c-Moll und a-Moll op. 51. Harmonisch innovative, für seine Zeit wagemutige Passagen im c-moll-Quartett zeigen, "dass Brahms, der Klassizist, der Akademische, ein großer Neuerer, ja, tatsächlich ein großer Fortschrittler im Bereich der musikalischen Sprache war". Das fand kein Geringerer als der Pionier der musikalischen Moderne, Arnold Schönberg, später ebenfalls ein Sommergast am Starnberger See.

Das wohl bekannteste Ergebnis seines Tutzinger Aufenthaltes aber sind die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56, von denen Brahms eine Klavierfassung und eine Orchesterfassung schrieb. Letztere gilt als wichtige Station in Brahms' Entwicklung hin zum Sinfoniker. Das Thema der "Haydn-Variationen" schrieb Brahms aus einem Manuskript ab, das ihm der Bibliothekar der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zeigte. Heute weiß man, dass es nicht von Joseph Haydn stammt, sondern wahrscheinlich ein alter Wallfahrtsgesang aus dem Burgenland ist.

Der am Seeufer erbaute Pavillon des Sängerehepaars Heinrich und Therese Vogl: Es stellte Brahms das darin befindliche Klavier zur Verfügung. Der Brahmspavillon ist heute in Privatbesitz und verfällt ungenutzt. (Foto: Gemeindearchiv Tutzing)

Im August unterbrach Brahms seinen Aufenthalt für eine Reise zur Gedenkfeier für Robert Schumann in Bonn und versöhnte sich mit Clara. Diese schreibt ihm am 4. September nach Tutzing: "Gern mag ich Dir erwidern, daß auch in mir der schöne Beschluß des Festes, Dein Besuch, nachklingen soll. Ich hatte übrigens recht trübselige Tage nach Deiner Abreise; das Regenlied ging mir Tag und Nacht nicht aus dem Sinn, die Melodie hat aber für mich etwas unsäglich Trauriges und machte mich ganz melancholisch, bis ich mich endlich durch ordentliche Arbeit herausriß."

Kurz vor seiner Abreise aus Tutzing im September schreibt Brahms an seine Stiefmutter Karoline: "Ich habe namentlich am See meine Freude gehabt. Jeden Morgen um 5 Uhr war ich drin und sonst mit dem Kahn hinaus, das werde ich die nächste Zeit entbehren."

Der Komponist könnte auch der Kaiserin begegnet sein

Biograf Kalbeck spekuliert, Brahms könnte auf seinen langen Spaziergängen durchaus Kaiserin Elisabeth hoch zu Ross begegnet sein, wenn sie in Possenhofen "heitere Jugenderinnerungen auffrischte", oder auch einem goldenen Wagen mit einem "bleichen kerzengerade aufgerichteten Mann darin, der selbst in nächtlicher Einsamkeit die Würde der Majestät vertreten zu müssen glaubte" - König Ludwig II.

Tatsache ist, dass der König Johannes Brahms im Dezember desselben Jahres mit dem Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst auszeichnete - zusammen mit einem anderen Komponisten, der Ludwig II. besonders am Herzen lag und ebenfalls Gast am Starnberger See war: Richard Wagner.

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