Musik:Der Reggae-Zug rollt wieder

Musik: Stellen gemeinsam neue Songs vor: die Band "Jamaram" und der Musiker Jah Chango (Mitte), hier bei einem Auftritt 2019 im Pöckinger Bürgerhaus Beccult.

Stellen gemeinsam neue Songs vor: die Band "Jamaram" und der Musiker Jah Chango (Mitte), hier bei einem Auftritt 2019 im Pöckinger Bürgerhaus Beccult.

(Foto: Arlet Ulfers)

Die Pandemie hat die für ihre Live-Qualitäten bekannte Weßlinger Band "Jamaram" ausgebremst. Inzwischen ist die Gruppe, die in der konzertfreien Zeit 140 neue Songs geschrieben hat, wieder auf Achse.

Von Gerhard Summer

Dieses Lager ist so etwas wie komprimierter Rock'n'Roll. In dem ömmeligen 25-Quadratmeter-Raum stapelt sich bis unter die Decke, was die Weßlinger Gruppe Jamaram in 22 Jahren alles an Equipment angesammelt hat: bergeweise Keyboards und Amps, jede Menge Gitarren und Trommeln. Dazu der schwere kopflastige Bass, den Benni Beblo irgendwann gegen ein leichteres Exemplar ausgetauscht hat, und der Verstärker, der einem Trompeter fast die Zähne ausgeschlagen hätte.

"Jedes Stück ist mit einer Geschichte verknüpft", sagt Beblo. Wenn er sein altes Instrument sieht, müsse er sofort wieder an einen frühen Auftritt der Formation denken: Besoffene hatten die Bühne gestürmt, Beblo war schon kurz davor, den Bass als Knüppel einzusetzen, Gott sei Dank kam es dann doch zu keiner Rauferei. Auch der Blechbläser, der damals gerade zu der Truppe gestoßen war, hatte Glück. Er sollte einen in seine Richtung geschubsten Amp auffangen, war aber offenbar gerade geistesabwesend. "Ein anderer hat dann das Case mit dem Verstärker drei Zentimeter vor seinem Gesicht aufgefangen", sagt der 43-jährige Bassist des Oktetts, das vorwärts stürmenden Reggae und Dub sehr geschickt und musikalisch mit Elementen aus Latin, Ska und sogar Blues, mit Balkanrhythmen, Funk und afrikanischen Klängen anreichert und sein Publikum durch seine Live-Qualitäten regelmäßig zum Ausflippen bringt.

Musik: "Das war die maximale Vollbremsung": Benni Beblo, Bassist der Band Jamaram.

"Das war die maximale Vollbremsung": Benni Beblo, Bassist der Band Jamaram.

(Foto: Phil Vetter)

Von Hochstadt aus startet die Band sonst immer zu ihren Touren, die sie schon nach Uganda, Brasilien, Simbabwe und Kolumbien geführt haben. Weßling ist nämlich immer noch die wichtigste Anlaufstation der Musiker. Sieben Jahre hatten sie dort in einer längst legendären WG am Kreuzweg gewohnt. Inzwischen sind sie zwar zum Teil Familienväter geworden und über die ganze Republik verstreut, doch ihr Management und ihr Label sind immer noch in Weßling angesiedelt. Und zwei der Bandmitglieder leben nach wie vor in Hochstadt und in Weßling, einer in Wörthsee. Doch mit der Tingelei durch die Welt und mit Konzerten in Deutschland war jetzt zwei Jahre lang mehr oder minder Schluss: Corona stoppte den Reggae-Zug. 2020 konnten Sänger Tom Lugo, Schlagzeuger Murxen Albert, Gitarrist Samy Danger, Keyboarder Lionel Wharton, Trompeter Daniel Noske, Saxophonist Giovanni Pecorini, Percussionist Nik Thäle und Bassist Beblo nur sechs bis acht Auftritte absolvieren. Sonst sind es 80 bis 100 im Jahr. Im Sommer 2021 lief es laut Beblo etwas besser, die oberbayerischen Rastafari traten auch in Autokinos auf. Und sie versuchten sich an Livestreams, was letztlich nicht zu einer Band passt, die ihre wahre Bestimmung darin sieht, hoffnungslos überfüllte Clubs auf Saunatemperatur zu bringen.

Jetzt nimmt Jamaram langsam wieder Fahrt auf, auch wenn viele ebenfalls von der Pandemie gebeutelte Veranstalter "noch mit angezogener Handbremse unterwegs sind", wie Beblo sagt. Heuer sind immerhin schon 25 Gigs zwischen Augsburg und Berlin fest gebucht. Ob die Gruppe im Frühsommer auch was für ihre Fans im Fünfseenland tun kann und im Freizeitheim Hochstadt auftritt, ist noch nicht ganz klar. Vergangene Woche holte die Gute-Laune-Truppe, die zusammen mit The Notwist aus Weilheim zu den bekanntesten Bands südlich von München gehört, immerhin ein immer wieder verschobenes Konzert im Münchner Backstage-Werk nach. "Da waren Leute dabei, die hatten ihr Ticket Ende 2019 gekauft", so Beblo.

Musik: Kreativer Schub: Jamaram haben in der Pandemie-Zeit genügend Songs für mindestens zwei Alben geschrieben.

Kreativer Schub: Jamaram haben in der Pandemie-Zeit genügend Songs für mindestens zwei Alben geschrieben.

(Foto: Julie Key)

Ob die Pandemie die Bandmitglieder also ins Mark getrofffen hat? "Jein", meint Beblo, der in Hochstadt lebt und dort auch sein Studio hat. Klar, "der Umsatz brach um 98 Prozent ein, das war die maximale Vollbremsung". Um sich finanziell über Wasser zu halten, konzentrierten sich die Jamarams auf das, was sie bisher schon nebenbei betrieben hatten: Musikunterricht, den Bau von Saxophonen, Webdesign, Schauspielerei. Weil die Gruppe so groß ist und auch Mitarbeiter fürs Merchandising und Techniker für Licht und Ton beschäftigt, "konnten wir ja nie ganz von der Musik leben, sondern damit nur die Hälfte unseres Lebensunterhalts bestreiten", erklärt Beblo. Außerdem habe die Förderung etwa durch das bayerische Soloselbständigen-Programm die Verluste ein wenig kompensiert, "man stand dadurch nicht nackt da". Beblo selbst arbeitet als Tontechniker und kümmert sich als Musikverleger darum, dass andere Bands oder Liedermacher von der Gema das Geld bekommen, das ihnen zusteht. Von Herbst 1997 bis 2015 hielt er nebenbei noch das Konzertprogramm im Bahnhof des Wörthseer Ortsteils Steinebach am Laufen, anfangs zusammen mit Wirt Hans Schlegel.

Ein gemeinsames Album mit Jah Chango ist so gut wie fertig

Weil "Heulen nichts nutzt", hätten die Musiker versucht, "das Ganze positiv zu sehen". Sie trudelten aus Berlin, Köln, Mannheim, Rosenheim und Wien ein, probten ein paar Mal im Monate für mehrere Tage in Hochstadt und schrieben in der Pandemie 140 neue Songs, "ganz ohne Veröffentlichungsdruck". Damit liegt nun so viel Material in der Schublade, dass Jamaram davon die nächsten beiden CDs bestreiten kann. Ein Album zusammen mit dem Sänger und Gitarristen Jah Chango, der mit bürgerlichem Namen Rico Hartmann heißt, aus Nürnberg stammt und auf Formentera lebt, sei so gut wie fertig. Und im Sommer soll eine Single auf den Markt kommen, die aus einer Kooperation zwischen Jamaram und dem deutschen Reggae-Sänger Dominik Haas heraus entstanden ist, besser bekannt als Jahcoustix. Vokalist Tom Lugo ist nämlich in den vergangenen zwei Jahren kürzer getreten, "er wollte immer schon ein Sabbatical machen", sagt Beblo, "das kam jetzt ganz gelegen". Von dem zum 20. Bandjubiläum geplanten Veröffentlichungsreigen hat Corona freilich wenig übriggelassen, im Grunde nur das Live-Album von 2020 mit Hits wie "Back In A Day", "Easy Life", "Rise" oder "Cats Come Out".

Musik: Setzen sich für Schulkinder in Südafrika ein: Die Musiker haben für ein Hilfsprojekt bereits fast 128 000 Euro an Spenden gesammelt.

Setzen sich für Schulkinder in Südafrika ein: Die Musiker haben für ein Hilfsprojekt bereits fast 128 000 Euro an Spenden gesammelt.

(Foto: Julie Key)

An ihrem 2006 gestarteten Südafrika-Hilfsprojekt zusammen mit dem Verein "Go Ahead" und der Nichtregierungsorganisation "Heartbeat" hat Jamaram auch in den schweren Pandemie-Jahren festgehalten. Die 2019 mit dem Kulturpreis des Landkreises Starnberg ausgezeichnete Band sammelt Geld, damit Kinder, die ihre Eltern durch Aids verloren haben, weiter in die Schule gehen können und nicht arbeiten müssen. Fast 128 000 Euro sind bereits zusammengekommen. Als der Spendenfluss wegen Corona stockte, "haben wir selbst reingebuttert, was gefehlt hat", sagt Beblo. Ein erstes Etappenziel habe Jamaram schon erreicht. Nun gehe es darum, ein Learningcenter mit Hausaufgabenbetreuung und mobilen Sozialarbeiterinnen in der weitläufigen Region Jozini zu finanzieren. Bassist Benni Beblo sagt es so: "Das alles ist kompliziert, aber wir halten es für eine gute Sache."

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