Nie Schmerz zeigen. Mehrmals fällt dieser Satz. Vielleicht war es die anerzogene strenge Selbstdisziplin, die ihr das Leben rettete. Irmingard von Bayern (1923 - 2010), Tochter des letzten bayerischen Kronprinzen, musste vor den Nazis fliehen, wurde gefangengenommen und verschleppt, überlebte mehrere Konzentrationslager und nur knapp eine schwere Typhusinfektion, bevor sie endlich von amerikanischen Soldaten befreit wurde. Die vorletzte Veranstaltung im diesjährigen Literarischen Herbst war dieser "wunderbaren und großartigen Persönlichkeit" gewidmet, so Kulturveranstalterin Elisabeth Carr, die am Donnerstagabend im Museum Starnberger See selbst aus den Jugenderinnerungen von Irmingard Prinzessinvon Bayern las und auch von einer persönlichen Begegnung berichten konnte.
Geboren vor hundert Jahren am 29. Mai 1923 im Wittelsbacher Schloss in Berchtesgaden, wuchs Irmingard von Bayern zunächst behütet auf, umgeben von Kinderschwestern und einer englischen Nanny, bedient von Lakaien in Livree. Überschattet war diese Kindheit zunächst lediglich von der Tatsache, dass Adolf Hitler sich zunehmend in Berchtesgaden breit machte und man deshalb beschloss, die Sommer fortan lieber in Hohenschwangau zu verbringen. Ihr Vater, eine angesehene Persönlichkeit, habe Hitler nicht empfangen, das habe die Familie später büßen müssen, berichtet Irmingard in ihrem Buch, das sie für ihre Enkel verfasst hatte.
Newsletter abonnieren:SZ Gerne draußen!
Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.
Carr hatte die Textpassagen klug ausgewählt, sie begann mit Episoden aus der Privatschule und der Verzweiflung über Rechtschreibübungen, mit Zahnarztbesuchen, bei denen man keinen Schmerz zeigen durfte, und dem Pferd, das an Weihnachten als Geschenk im Hausgang angebunden wurde. Es folgten die verhassten Matrosenkleidchen und die nicht minder verhassten Schuluniformen im englischen Internat, schließlich das Exil in Rom auf Einladung des italienischen Königs, der die Wittelsbacher auch gleich mit seinem Salonwagen in München abholen ließ. In Rom hatte man wieder Kleidersorgen, musste in Selbstgenähtem zum König und auch sonst improvisieren.
Auf diese durchaus launigen Anekdoten in der ersten Hälfte des Abends folgte nach der Pause der eindringliche, bald beklemmende Bericht über Verfolgung, Sippenhaft und Lebensgefahr. Elisabeth Carr spürte auch hier der schlichten und klaren Sprache nach, in der die Erinnerungen verfasst sind. Nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 geriet der letzte bayerische Kronprinz Rupprecht ins Visier der NS-Schergen. Rupprecht, der sich ab 1940 ständig im Exil in Italien aufhielt, galt als Sammelpunkt bayerischer Monarchisten und Gegner des Nationalsozialismus. So geriet er ins Visier der Gestapo. Die Familie wurde getrennt. Auch Irmingard von Bayern war auf der Flucht vor der Gestapo, fand Unterschlupf bei Verwandten am Gardasee, schlief jedoch nicht im Haus, sondern monatelang im Freien. Sie wurde dennoch gefunden und war zu dieser Zeit bereits schwer krank: Auf eine Typhusinfektion folgte eine Sepsis aufgrund einer fehlerhaften Bluttransfusion.
Unter katastrophalen Bedingungen erlebte sie im Keller des Krankenhauses die Bombenangriffe auf Innsbruck, wurde dennoch ins Konzentrationslager Sachsenhausen, später noch nach Flossenbürg und nach Dachau verschleppt. In Flossenbürg waren die Wittelsbacher als Hitlers Sonderhäftlinge in einer Baracke in Sichtweite des Krematoriums untergebracht. Die Toten seien dort wie Holz aufgestapelt worden, schreibt sie in ihrem Buch. Keinen Schmerz zeigen, keine Angst zeigen, war jetzt das oberste Gebot für die königlichen Gefangenen, die fest mit ihrer Hinrichtung rechneten. Elisabeth Carr übersprang einige Passagen aus diesen dramatischen Schilderungen, denn im Publikum saßen auch die Urenkel von Irmingard von Bayern mit ihrer Mutter.
Auguste von Bayern, die jetzt mit ihrer Familie das Leutstettener Schloss bewohnt, hatte die Veranstaltung unterstützt und dafür Bilder aus dem Familienbesitz zur Verfügung gestellt. Diese hingen an einer rot gestrichenen Wand hinter dem Lesepult, an dem Elisabeth Carr stand. Irmingard von Bayern überlebte Verfolgung, Krankheit und Lagerhaft. Nach Kriegsende heiratete sie ihren Vetter Ludwig, mit dem sie die Liebe zu den Bergen und die Leidenschaft für Pferde teilte. Sie lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 in Leutstetten.
Lange, bevor sie ihre Lebenserinnerungen für ein Buchprojekt aufschrieb, verarbeitete Irmingard von Bayern ihre traumatischen Erlebnisse auch als Malerin. Sechs ihrer Gemälde waren an diesem Abend zu sehen, unter anderem eine Ansicht des Konzentrationslagers Flossenbürg im Winter: Baracken, Stacheldraht, Schäferhunde, die Kolonnen der Häftlinge, Erschießungsszenen, Tote am Galgen, die rauchenden Schlote des Krematoriums und über allem ein blutroter Himmel und die Sonne mit dem Kreuzzeichen. Es sind Bilder wie Sequenzen aus dunklen Träumen, voller Grauen und gleichzeitig von tiefem Glauben geprägt.