Unten am Wörthsee toben Kinder über die Wiese am Ufer, E-Biker radeln vorbei, die ersten Mutigen wagen sich schon ins kalte Wasser. Im richtigen Sonnenlicht schimmert der See türkisblau – fast wie das Meer. Ein paar hundert Meter weiter, oben auf der Anhöhe bei Schlagenhofen findet man eine andere Welt. Aus der seit über einem Jahr verlassenen Wörthseealm weht ein ungewohnter Duft, der eher an die Karibik als an Oberbayern erinnert. Im April ist neues Leben in die Gaststätte eingezogen. Sie heißt jetzt „Mamanicas Wörthseealm“. „Mamanica“, das ist ein Wortspiel aus „Mama“ und „Nicaragua“. So heißt auch der bunt bemalte Imbisswagen, mit dem alles begann. Dieser steht auf dem Parkplatz Maistraße, an der Badestelle in Steinebach.
Das Lager für den Imbiss hatten Delila Lennon-Davis und ihr Mann Sven Brandes bereits in der seit Ende 2023 leer stehenden Wörthseealm. Als das Angebot kam, die Wirtschaft ganz zu übernehmen, sagten die beiden zu. „Delilas Essen schmeckt und jeder kennt uns“, so Brandes. Nun bringt die Wirtin aus Nicaragua ein Stück Mittelamerika in das alte Gasthaus über dem Wörthsee. „Die Rezepte habe ich von meiner Mama“, erzählt sie. Ihre Mutter hatte in Nicaragua ein Cantina, ein kleines Lokal, nicht zu verwechseln mit einer deutschen Kantine.
Die Einrichtung der Gaststätte blieb unverändert. IT-Experte Brandes ist Realist. „In der Gastronomie zu überleben, ist nicht leicht. Erst muss der Laden laufen.“ Deswegen verzichtet er vorerst auf teure Investitionen und behält die Energiekosten für Küche, Kühlung und Schankanlage im Auge. Währenddessen sucht seine Frau nach den passenden Zutaten für ihre karibischen Gerichte. Küche und der rustikale Gastraum sind zum Glück in gutem Zustand, der Vorpächter hatte viel renoviert. Frische Pflanzen sollen angeschafft werden, und bald kommt eine Nichte aus Nicaragua, die bunte Dekorationen und Gewürze mitbringen wird, freut sich Lennon-Davis.
„Hier habe ich endlich Platz“, sagt die 53-Jährige und zeigt auf die geräumige Küche mit den vielen Schränken, Töpfen und Kochutensilien. Frische Kräuter stehen auf der Fensterbank, im Regal lagern exotische Gewürze, Kochbananen, Maniok, eine Kiste Avocados – eben alles, was sie für ihre Gerichte braucht. „Ich bin Expertin für Avocados“, sagt sie, nimmt eine der grünen Früchte in die Hand, prüft den Stilansatz, die Schale und die Festigkeit der Frucht. Zu harte oder zu weiche Avocados kommen bei ihr nie auf den Tisch. Ehrensache.


An diesem Nachmittag hilft Tochter Cristina aus München in der Küche. Sie trägt Teller mit Köstlichkeiten wie frittierten Kochbananen (Tostones), Empanadas mit Fleischfüllung oder dem Nationalgericht Gallo Pinto con Pollo – Hühnchen in Kokossauce mit Reis und schwarzen Bohnen zum Tisch. Ihr Lieblingsgericht? Gallo Pinto. „Das könnte ich immer essen“, sagt sie. In Nicaragua wird dieses Gericht schon zum Frühstück serviert, so wie bei uns Semmeln oder Brot. Für Cristina und ihre Mutter sind die Speisen ein Stück Heimat, für die Gäste eine kulinarische Reise auf einen anderen Kontinent. Auf der Karte stehen auch Costillas de Cerdo (Spareribs in hausgemachter BBQ-Soße), Quesadillas mit Huhn, Fleisch oder Gemüse, gegrillter Lachs in Orangensauce und Garnelen in Knoblauchöl (Gambas al Ajillo), das Lieblingsgericht von Sven Brandes. Im Sommer kann man abends auf der Terrasse Cocktails genießen wie den „Macua“ mit weißem Rum aus Nicaragua und Guavensaft. Wer es bodenständig mag, bekommt Schnitzel, Hamburger oder Currywurst und die Pommes nach Wahl auch aus Süßkartoffeln oder Maniok.
Auf der Terrasse fernab der Hektik fühlt sich Lennon-Davis an ihre Heimat erinnert. Vor rund 20 Jahren kam sie der Liebe wegen nach Deutschland. In München arbeitete sie in der Gastronomie und bei Feinkost Käfer. Ihr Heimweh bekämpfte sie mit Gerichten aus ihrer Heimat, die nicht nur bei der Familie, sondern auch bei Freunden gut ankamen. Da es kein nicaraguanisches Restaurant in der Region gibt, entstand die Ideen, ein solches zu eröffnen. „Die Gerichte sehen vielleicht aus wie mexikanische, aber die Gewürze und der Geschmack sind anders“, betont die Wirtin.

Sie wuchs 9000 Kilometer entfernt von Inning in Rama an der Karibikküste Nicaraguas auf, einem Land zwischen Pazifik und Karibik, das für seine traumhaften Strände, Seen und viele Vulkane bekannt ist. Grün und wild ist es dort. „Ein unentdecktes Land mit wenig Tourismus“, sagt Brandes. Er schwärmt von den begeisterungsfähigen, lebenslustigen Menschen. „In Deutschland wird Nicaragua leider oft auf die politische Situation reduziert“, bedauert er. Seine Frau lebte mit zwölf Geschwistern in einem abgelegenen Farmhaus ohne fließend Wasser und Strom. Der Schulweg führte durch den Dschungel, vorbei an bunten Vögeln, Affen, aber auch Schlangen, Skorpionen und riesigen Ameisen. „Über die Schlangen sind wir einfach drübergestiegen“, sagt sie, als sei es nichts. Exotische Früchte wachsen dort überall. „Jede Familie hat eine Kokospalme im Garten“, erzählt sie. Kokosnuss ist eine Hauptzutat vieler Gerichte, ebenso wie Kochbananen und Avocados, die dort ebenfalls in den Gärten wachsen.
Heute steht Delila Lennon-Davos in der Küche von „Mamanicas Wörthseealm“, schneidet Maniok, prüft Avocados, rührt Hühnchen in Kokossauce. Draußen zwitschern die Vögel, der Wind streicht über die Wiesen, man kann über die Felder bis zum Wald am Horizont blicken. Noch ist vieles im Aufbau, die Saison beginnt gerade erst. Drinnen sieht alles fast so aus wie früher – bis das Essen kommt.