Der Auftrag ist klar - und er ist "pipileicht". Zumindest hat das der Erstklässler gerade kundgetan, entsprechend selbstbewusst schreitet er nun zur Tat. Den Schläger in der rechten, einen Tennisball in der linken Hand geht er nach vorne in Richtung Netz. Jetzt gilt's: Den Ball auf den Boden abtropfen lassen. Position finden. Ausholen. Schlagen - und im Idealfall den Ball treffen. Diesmal hat es nicht geklappt. Der Schläger saust am Ball vorbei, trotz der kurz zuvor getroffenen Einschätzung. Macht aber nichts: Wie für viele seiner Mitschüler auch ist es für ihn schließlich die allererste Tennisstunde.
Ein Frühlingsmorgen in Inning, die Vögel zwitschern, die Bäume blühen, und auf dem Tennisplatz nahe der Grundschule fliegt ein Ball nach dem nächsten übers Netz. Sportplatzidylle zum Auftakt also: Denn dass die 26 Schülerinnen und Schüler der ersten Klasse heute einen Schläger in der Hand halten, liegt an einem nach Angaben der Verantwortlichen bayernweit einzigartigen Projekt des TC Inning, der örtlichen Grundschule und der Herrschinger Tennisschule Tennis-Factory, die nun im regulären Sportunterricht gemeinsam Tennisstunden ausrichten. Die insgesamt acht Klassen der Grundschule wechseln sich dabei ab, bis zu den Sommerferien ist jede Woche eine andere dran, jede kommt zweimal an die Reihe. Pro Einheit werden die Kinder in verschiedene Gruppen eingeteilt, schließlich ist nicht jeder auf dem gleichen Stand: Ein paar spielen bereits im Verein, andere hatten zuvor noch nie einen Schläger in der Hand.
Tennis als Schulsport also, und weil diese Idee durchaus auch über die Sommerferien hinaus Zukunftsaussichten hat, erweckt der Auftakt ganz schön viel Aufsehen: Bürgermeister Walter Bleimaier ist gekommen, die Gemeinde unterstützt das Projekt finanziell. Und auch Tim Loidl vom Bayerischen Tennis-Verband (BTV) ist extra aus München angereist, um den Start zu begleiten. Denn der BTV sieht in der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Vereinen großes Potenzial: Ab 2026 greift der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschülern. Wegen des Lehrermangels aber stellt das die Schulen mancherorts vor ein Problem, bei dem Sportvereine helfen könnten.
Auch der Bayerische Landes-Sportverband (BLSV) hat das erkannt und es sich zur Aufgabe gemacht, die Kooperation zwischen Vereinen und Schulen zu fördern. "Sportvereine können beispielsweise als Sportexperten das Bewegungsangebot in einer Ganztagsschule übernehmen", erklärt der Verband auf seiner Homepage. Dabei sei durchaus denkbar, dass Vereine "das gesamte offene Ganztagsangebot an einer Schule übernehmen." Auch Tim Loidl vom BTV glaubt, dass das Modell Zukunft hat. "Das wird es hoffentlich bald öfter geben", sagt er.
Wenn Vereine einen Teil des Schulsports übernehmen, schafft das für die Schulen personellen Spielraum. Über die Konzeption der Stunde müssen sich die Lehrkräfte keine Gedanken mehr machen, es muss lediglich jemand für die Aufsicht abgestellt werden. Die Klubs hingegen sind froh, wenn sie den Nachwuchs für ihre Disziplinen begeistern können. Denn viele Vereine kämpfen gegen Mitgliederschwund. "In den Städten sind die Klubs voll", sagt Loidl. Auch im wohlhabenden Landkreis Starnberg sei die Situation vergleichsweise gut. "Anderswo sieht das aber ganz anders aus."
Beim Tennis werden "alle Aspekte der Motorik" trainiert
Und für die Schüler bietet die etwas andere Sportstunde die Gelegenheit, etwas Neues auszuprobieren. "Das hat für alle Seiten Vorteile", erklärt der Vorsitzende des TC Inning, Christian Bonk. Ganz einfach war es jedoch nicht, das Projekt auch tatsächlich zu starten, es galt einen Haufen Fragen zu klären, von der Versicherung über die Terminkoordination bis hin zur Finanzierung. Dafür braucht es ein großes Engagement bei den Verantwortlichen von Schulen und Vereinen sowie die Unterstützung der Gemeinde - Voraussetzungen, die es nicht überall gibt. Umso wichtiger sei es deshalb, die Erkenntnisse aus dem Inninger Projekt an potenzielle Nachahmer weiterzugeben, um das Prozedere zu vereinfachen, erklärt der BTV-Abgesandte Loidl.
Doch die Mühe scheint sich zu lohnen: Nach etwa einer Stunde zieht Tennistrainer Dejan Todorovic eine vorläufige Bilanz. "Super" würden sich die Kinder bislang anstellen, erklärt der Übungsleiter. Und sie hätten Spaß am Spiel. "Das Interesse ist kein Problem", sagt er. "Aber die Kinder haben zu viele Termine." Dadurch werde die Zeit für Sport knapp, für manche wirkten zudem ein paar Stunden vor dem Computer attraktiver als Tennis oder Fußball. Deshalb würden weniger Kinder in Vereine gehen. "Aber wenn sie dann da sind, macht es Spaß." Und natürlich sei Tennis hervorragend für Grundschulkinder geeignet, ergänzt TC-Vorstand Bonk. Die Sportart beinhalte schließlich "alle Aspekte der Motorik". Laufen, schlagen, werfen - all das werde beim Tennis trainiert.
Von wegen also "pipileicht"? Auf dem hinteren Platz ist wieder der Erstklässler an der Reihe. Er begibt sich in die Mitte des Feldes, lässt den Ball auf dem Boden auftippen, holt aus - und befördert ihn mit einem saftigen Schlag über das Netz. Hatte er also doch Recht.