Bildung:„Schwimmenlernen sollte selbstverständlich sein“

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Immer weniger Kinder in Deutschland fühlen sich im Wasser wohl, etwa jedes fünfte Grundschulkind kann nicht schwimmen. (Foto: Imago)

Darum ist der Landkreis Teil einer Initiative, die Kinder spielerisch ans Wasser gewöhnen will. Dafür springt sogar der Landrat ins Becken.

Von Patrizia Steipe, Inning

Ihre Erlebnisse als Lehrerin in einem inklusiven Schwimmkurs haben Sabine Kurz erschüttert. Die Kinder hatten Angst vor Wasser und motorische Störungen. Manche waren noch nie in einem Schwimmbad gewesen, andere kamen mit dem ungewohnten Druck auf ihrem Körper nicht zurecht, kannten nicht einmal die Spiegelungen an der Wasseroberfläche. „Am Ende wusste ich nicht, welches die Kinder mit Beeinträchtigungen waren und welche nicht“, erzählt sie. Alle Kinder hatten Defizite, ans Schwimmenlernen war nicht zu denken.

Die Managerin der Stiftung „Deutschland schwimmt“ mit Sitz in der Oberpfalz musste erst jedes Kind einzeln an die Hand nehmen und üben, wie man ins Wasser steigt, im Wasser hüpft oder das Gesicht eintaucht. „Was ist in den letzten Jahren in der Gesellschaft passiert?“, fragt sie. „Kindern Sicherheit im Wasser zu vermitteln, sehe ich als Erziehungspflicht“, erklärt Kurz. Doch das sei längst nicht mehr selbstverständlich.

Der Landkreis Starnberg mit seiner Regionalagentur GWT ist der erste Kooperationspartner der Stiftung, die 2016 vom ehemaligen Leistungsschwimmer und Olympia-Teilnehmer Alexander Gallitz gegründet wurde. Ziel der Initiative ist es, Kleinkinder spielerisch ans Wasser zu gewöhnen. Dafür knüpft die Stiftung regionale Netzwerke.

Auch Julia Volks, Jugendleiterin der Wasserwacht Starnberg, begegnet in ihren Schwimmkursen Kindern, die zum ersten Mal ein Schwimmbad betreten und Wasser als Gefahr empfinden. Wer nicht an Wasser gewöhnt ist, tue sich mit dem Schwimmenlernen besonders schwer, sagt Volks, die seit 25 Jahren bei der Wasserwacht ist. Dabei sei „Wasser in unserer Region Teil unserer DNA“, ergänzt GWT-Geschäftsführer Christoph Winkelkötter.

Doch oft sind es die Eltern, die die Angst vor Wasser unbewusst verstärken, bedauert Volks. Sie setzen den Kleinen beispielsweise spezielle Duschhauben oder sogenannte Duschkronen auf, damit beim Haarewaschen oder Duschen kein Tropfen Wasser über das Gesicht oder in die Augen des Nachwuchses läuft. „Kinder müssen lernen, dass Wasser kein Feind ist, sondern Spaß macht“, mahnt Volks. Häufig seien jedoch schon die Eltern unsichere Schwimmer, deren Ängste sich auf die Kinder übertragen.

Kleinkinder spielerisch ans Wasser gewöhnen wollen Tatijana von Quadt vom Verein Fortschritt (hier mit ihrem Sohn Ruben), Isabell Bauch und Werner Schmid von der GWT, Sabine Kurz von der Stiftung "Deutschland schwimmt" und GWT-Geschäftsführer Christoph Winkelkötter (von links). (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Werner Schmid, Sabine Kurz, Daniel Betz, Andrea Felsner-Peifer, Robert Sterner, Isabell Bauch und Christoph Winkelkötter (von links) bei der Vorstellung eines Kurzfilms in den Groundlift Studios in Stegen. (Foto: Groundlift Media GmbH/oh)

Ein sicherer Umgang im Wasser sei wie eine Lebensversicherung, findet die Jugendleiterin. Wer ins Wasser fällt, muss sich orientieren können, um sich zu retten. Doch laut einer Forsa-Umfrage sind 60 Prozent der Grundschulabgänger in Deutschland unsichere Schwimmer. Das steht in der neuen Broschüre der Stiftung „Deutschland schwimmt“. 20 Prozent der Grundschüler seien sogar Nichtschwimmer, weiß Isabell Bauch von der GWT in Starnberg und Botschafterin der Stiftung „Deutschland schwimmt“. Sie fordert: „Schwimmenlernen sollte selbstverständlich sein“.

Seit 2023 arbeitet sie mit der Stiftung am Projekt „Mit Sicherheit mehr Spaß am See“. Die GWT startet unter diesem Motto in den Landkreis-Kindergärten eine Aufklärungskampagne. Dort wird die „Wassergewöhnungsfibel“ mit Tipps und Übungen verteilt, um Kinder auf das Schwimmenlernen vorzubereiten. Die Fibel liegt auch in den Tourist-Informationen in Starnberg und Herrsching aus. Ziel ist es, die fünf Grundfähigkeiten im Wasser – Tauchen, Atmen, Schweben, Gleiten und Springen – zu üben. Wer diese beherrscht, könne Notsituationen im Wasser besser bewältigen, schreibt Alexander Gallitz im Vorwort. Einige Übungen wie Blubbern, Kopf unter Wasser tauchen oder Luftanhalten lassen sich sogar in der Badewanne trainieren.

13 Erzieherinnen haben eine Fortbildung gemacht

Im vergangenen Jahr entstand mit der GWT im Landkreis ein Kurzfilm, um Eltern besser zu erreichen. Premiere war im Kino des Produzenten, der Groundlift Media Studios in der Alten Brauerei Inning. Autor Wigald Boning („Herr Boning geht Baden“) wirbt darin für das Schwimmen, planscht mit Kindern fröhlich im Starnberger See, andere Kinder hüpfen ins Hallenbecken und sogar Landrat Stefan Frey wagt gemeinsam mit den Kleinen einen Sprung ins Schwimmbad. Auch der Verein Fortschritt unterstützt die Kampagne. 13 Erzieherinnen haben eine Fortbildung zur Wassergewöhnung absolviert und wollen das Gelernte in den inklusiven Kitas umsetzen. Fortschritt-Geschäftsführerin Tatijana von Quadt weiß, wie wichtig Schwimmen ist. In ihren Einrichtungen gibt es Kinder, die durch Ertrinkungsunfälle schwerbehindert sind. Sabine Kurz warnt zudem vor falscher Sicherheit nach einem Schwimmkurs. „Das Seepferdchen-Abzeichen schützt nicht vor dem Ertrinken. 25 Meter geradeaus schwimmen zu können, hilft nicht, wenn man unerwartet ins Wasser fällt“.

Der Film soll als Werbespot in Landkreiskinos und im Lokalradio laufen, über Social-Media-Kanäle, Youtube, Kindergarten-Apps sowie in den Kitas verbreitet werden.

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