Frieda Dietz kann sich nicht dran erinnern, jemals eine Tanne in der Stube stehen gehabt zu haben. Als Christbaum hätten sie immer eine Fichte ins Haus geholt, aus dem Wald nebenan, erzählt die 85-Jährige. Ihr Mann war Förster und Revierleiter des 2300 Hektar großen Wirtschaftswaldes von Hans C. Graf zu Toerring-Jettenbach, das Areal erstreckt sich von Inning über Breitbrunn bis nach Seeshaupt und Gilching. Im Winter seien stets junge Bäume ausgeschnitten worden. Abfall, einerseits. Andererseits: Wunderschöne Weihnachtsbäume. Und weil es damals, vor mehr als 50 Jahren, nicht an jeder Ecke Nordmanntannen zum Schleuderpreis gegeben hat, beschloss Frieda Dietz, die Bäume beim Forsthaus in Inning günstig zu verkaufen. „Christbäume ham ja her müssen“, sagt sie.
Dass die Seniorin damals wohl einen der ersten nachhaltigen Weihnachtsbaumverkäufe in der Region initiiert hat, ist ihr nicht bewusst. „Es hat einfach Spaß gemacht, man kannte die Leute“, erzählt sie. Ihr Sohn Alexander, 62, setzt die Familientradition des Christbaumverkaufs fort. Er ist wie bereits Vater und Großvater Förster und Revierleiter jenes Waldes des Grafen Toerring. Sie alle wuchsen im erhaben auf einer Anhöhe gelegenen Forsthaus am Ortsrand auf, welches inzwischen drei Wohnungen und ein Außenbüro der Forstverwaltung Seefeld beherbergt. Dietz ist erst vor wenigen Jahren mit seiner Familie ausgezogen. Immer freitags kommt er ins Büro, meistens ist er im Wald unterwegs.
„Waldpflege“, sagt er. In den Wintermonaten falle viel Arbeit an: die Astung, das Freischneiden und auch die Entnahme sogenannter Bedränger – wild gewachsener Stämme, die das Wachstum benachbarter Bäume beeinträchtigen. „Die müssen raus“, erklärt Dietz, der dafür verschiedene Unternehmen beauftragt. Die meisten dieser geschnittenen Jungbäume bliebe zum Verrotten im Wald liegen, nur die schönsten lässt sich Dietz zum Forsthaus bringen. Und so stehen da knapp zwei Wochen vor Heiligabend knapp 50 Fichten, eineinhalb bis vier Meter hoch, an ein Holzgestell gelehnt auf einer Wiese. Daneben liegen ein paar Kiefern, es duftet nach frischem Wald. „Stachelig san’s halt“, sagt Dietz und zieht sich seine Handschuhe an, bevor er ein paar der Bäume präsentiert. „Aber richtig schee heuer, da hamma a scho andere gehabt.“
Fichten und Kiefern machen nur einen geringen Anteil der Weihnachtsbäume in deutschen Wohnzimmern aus. Fast 80 Prozent der verkauften Christbäume sind Nordmanntannen, wie die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) mitteilt. Diese werden vorrangig in Deutschland und Dänemark angebaut – um nach drei bis zwölf Jahren geschlagen zu werden. Knapp 25 Millionen tote Bäume wandern so jedes Jahr in deutsche Häuser und Wohnungen, dabei wächst auch beim Weihnachtsbaumkauf der Wunsch nach einem nachhaltigen Produkt. So werden Schätzungen der SDW zufolge inzwischen zehn bis zwölf Prozent der Bäume im Topf verkauft, in immer mehr Gärtnereien können diese auch ausgeliehen werden. Die Schutzgemeinschaft empfiehlt zertifizierte Bäume aus umweltfreundlichen, möglichst regionalen Plantagen – bloß keinen Plastikbaum! Alternativ: einen Baum vom Förster ums Eck direkt aus dem Wald.
„Da ist nichts gespritzt oder gedüngt“, sagt Alexander Dietz über seine Bäume. Die meisten seien wohl keine zwei Kilometer entfernt vom Forsthaus gewachsen. Früher habe er die Bäume persönlich verkauft, an Ärzte, Hippies, Familien – „ganz gemischt“. Viele Kunden kämen aus der näheren Umgebung, manche aber auch von weiter her. Seit der Coronapandemie steht eine Kasse mit Preisliste bereit: zehn Euro kostet der Meter Baum, damit liegen seine Fichten und Kiefern deutlich unter dem durchschnittlichen Meterpreis für eine Nordmanntane, der heuer zwischen 22 und 30 Euro liegt. Die Selbstbedienung funktioniere „top“, sagt Dietz. Wer möchte, kann sich kostenlos einen Anhänger aus Wachs mitnehmen, die Frieda Dietz jedes Jahr von Hand fertigt.
Derart persönlich geht es in der Gärtnerei Zanker in Buchendorf nicht zu. Doch immerhin kann Mitarbeiterin Christine Janssen behaupten, alle dort angebotenen Tannen bereits im Anbau gesehen zu haben. So reist die Gartenfachfrau jedes Jahr im September nach Dänemark, um die Christbäume für das Weihnachtsgeschäft persönlich auszusuchen. „Woher die Bäume kommen und wie sie wachsen, wollen inzwischen fast alle Kunden wissen“, sagt sie. Sie verkaufen darum ausschließlich Bäume, die nach einem nachhaltigen Produktionskonzept angebaut werden. „Für jeden geschlagenen Christbaum wird ein neuer Baum gepflanzt“, sagt Janssen. Freilich seien die Bäume nicht ganz billig, durch das langsame Wachstum aber sehr dicht und „einfach wunderschön“. Es gebe einfach viele Kunden, die darauf großen Wert legten.
„Also bei uns san scho amoi rechte Besen dabei“, sagt Alexander Dietz und muss lachen. Doch das kümmere viele Kunden gar nicht, so der Forstwirtschaftsmeister. Zahlreiche Gemeinden und Pfarreien aus der Umgebung holten sich seit Jahren bei ihm einen Christbaum, „die wollen einfach eine Fichte“. Er selbst habe wie seine Mutter auch noch nie eine Tanne im Haus gehabt. Einen der letzten Bäume nehme er jedes Jahr mit nach Hause, das Aussehen spiele keine große Rolle. Er bleibe lediglich für ein paar Tage stehen, verrät er. „Länger hält es meine Frau nicht aus.“