„Push, push, push!“ ertönt es vom Tennisplatz. Niklas Höfken, der Trainer des Rollstuhltennis-Nationalteams unterstützt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Trainingcamps lautstark. Die „Wheelchair Tennis Summer School“ findet in Starnberg zum ersten Mal statt. 13 Amateurspielerinnen und -spieler sind rollend auf den zwei Plätzen unterwegs. Auf einem steht Niklas Höfken umringt von seinen Schülern, auf dem anderen steht Nationalspielerin Britta Wend im Mittelpunkt. Die zwei Gruppen sind nach Leistungsniveau getrennt.
Am Rand des Platzes sitzt Jona Schwarz im Einzelgespräch mit einer Spielerin. Schwarz ist sportpsychologischer Experte. Er bildet zusammen mit Höfken und Wend den Trainerstab für das viertägige Camp auf der Tennis- und Padel-Anlage in Starnberg.
Immer wieder fliegen Bälle aus den Händen der Trainer zu den Teilnehmenden und von dort aus – zack! – über das Netz. Die Bewegungen sind flüssig, und es ist deutlich sichtbar, wie viel Spaß Trainer und Schüler haben. Sobald die meisten Bälle auf der anderen Seite gelandet sind, heißt es: „Einsammeln bitte!“ Und es wird losgerollt, die Speichen der Rollstühle erweisen sich als besonders praktisch: Tennisbälle passen perfekt hinein und, so können gleich mehrere Bälle transportiert werden.
Aufschläge, Vor- und Rückhand werden an diesem Tag trainiert. Dabei gibt es im Rollstuhltennis eine besondere Technik, die „Reverse Rückhand“. So muss nicht umgegriffen werden, und eine Hand kann immer an den Reifen bleiben, erklärt Alfred Hovelstadt, der extra aus der Nähe von Bremen für das Camp angereist ist. Die Übungen werden mit einem Tablet-PC und einer speziellen Software aus Australien aufgenommen, um später die einzelnen Bewegungen genauer analysieren zu können. Die Bewegungen mit dem Rollstuhl können auch mithilfe der Spuren im roten Sand nachverfolgt werden. „Schau, du musst eine engere Kurve fahren, nicht so weite“, erklärt Höfken, während er auf die Spuren zeigt.
Auf Britta Wends Seite des Platzes geht es etwas ruhiger zu. Als bei einer Spielerin die Sorge aufkommt, bei den schnellen Bewegungen womöglich aus dem Stuhl fallen zu können, hat die Profispielerin einen Vorschlag parat: „Vielleicht noch einen Bauchgurt?“ Prompt hat eine weitere Teilnehmerin eine Idee, sie habe noch einen Reservegurt dabei, den könne sie verleihen. Schon an Tag zwei herrscht eine ausgelassene Stimmung, Tipps und Tricks werden auch unter den Teilnehmenden ausgetauscht. Sport verbindet eben.
Das findet auch die ehemalige Profispielerin Petra Sax-Scharl, die auf einen Überraschungsbesuch zur Mittagspause vorbeikommt. Also raus aus der Sonne und ab in den Schatten. Die Teilnehmenden wechseln zum Teil aus ihren Sportrollstühlen in die Alltagsrollstühle, andere schnallen sich Schienen um und gehen zu Fuß zum Buffet. Auf dem Schotterweg zur Terrasse wird sich selbstverständlich gegenseitig mitgezogen und geschoben.
Sax-Scharl, die auch im Starnberger Inklusionsbeirat sitzt, erzählt von ihren eigenen Erfahrungen auf und neben dem Platz. Sie gewann 2000 bei den Paralympics die Bronze-Medaille im Doppel. Sie ist „total fasziniert“ von den Entwicklungen im Tennis, sagt sie. Schon damals habe es sie begeistert, dass Rollstuhltennis ein Familiensport ist. Alle, Fußgänger und Rollis, könnten zusammen spielen. Schnell ist sie mit einer Teilnehmerin im Gespräch: Sina Eghbalpour hat ihre Dissertation zu dem Thema Teilhabe im Sport verfasst. Die beiden sind sich einig: Der Sport kann zeigen, wie Inklusion auch in anderen Bereichen der Gesellschaft funktionieren kann. „Die Menschen bauen durch den Sport ihre Berührungsängste ab und verändern ihre Perspektive“, sagt Eghbalpour. Beim Tennis zähle nur, ob der nächste Satz gewonnen wird oder nicht.
Athleten erbringen nicht trotz der Rollstühle eine sportliche Leistung, sondern mit den Rollstühlen, er wird als Sportgerät gesehen. Das ließe sich auch auf den Alltag übertragen. Der Rollstuhl sei kein Hindernis, durch ihn würden viele Dinge erst möglich. Eghbalpour betont die Relevanz von wissenschaftlichen Ergebnissen, nur so würde die Politik auf Probleme aufmerksam. Die Brücke sieht sie in der studentischen Lehre: „Meine Studierenden haben einen verpflichtenden Rollstuhl-Tag, so bekommen sie einen Einblick in unseren Alltag.“ Sax-Scharl pflichtet ihr bei: „Kinder müssten damit aufwachsen, dann hätten wir das Problem mit der Inklusion nicht.“
„Warum braucht das so lange?“, fragt sich Petra Sax-Scharl, „Athleten bringen schon seit langer Zeit Medaillen nach Deutschland, trotzdem ist die Sichtbarkeit in der breiten Gesellschaft so gering.“ Deswegen freue es sie erst recht, dass das Rollstuhltennis sich so entfaltet hat: „Die reverse Rückhand haben wir damals noch nicht gespielt. Wahnsinn, wie sich der Sport entwickelt!“ Was sich wohl bis zum nächsten Camp tun wird? Das findet nämlich definitiv statt, sagt Richard von Rheinbaben, der Betreiber der Tennis- und Padel-Anlage in Starnberg. Auch Niklas Höfken ist glücklich: Die Warteliste für die diesjährige Summer School sei sehr lang gewesen.