Sport:"Alle Kinder schaffen es zu klettern"

Sport: Gut gesichert erklimmt der 13-jährige Christoph eine der Spezialrouten im Gilchinger Kletterzentrum.

Gut gesichert erklimmt der 13-jährige Christoph eine der Spezialrouten im Gilchinger Kletterzentrum.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

In den Inklusionskursen beim Alpenverein in Gilching können Buben und Mädchen mit Einschränkungen ihre Fähigkeiten an der Kletterwand beweisen. Vier Routen sind speziell gekennzeichnet.

Von Jana Rick, Gilching

Suree, Fabi, Christoph, Nina, Jan und Constantin klettern jeden Montag gemeinsam. Sie sind zwischen zehn und 14 Jahre alt, vier von ihnen haben eine körperliche oder kognitive Einschränkung. "Bunt gemischt" nennt Lena Klotz die Gruppe; gemeinsam mit der Trainerin Irmgard Volland leitet sie mehrere inklusive Klettergruppen im Kletterzentrum Gilching. Die 25-jährige Lehramtsstudentin ist damit Teil eines Projektes mit Pioniergedanken. "Mitklettern" ist der Name der Initiative vom Deutschen Alpenverein (DAV), dabei steht das "I" für "Inklusion".

Die Projektleitung wurde Marlies Urban-Schurz im Jahr 2019 vom Vorstand der DAV-Sektion München übertragen. Die 56-Jährige erinnert sich an die ersten Schritte: "Wir mussten anfangs erstmal lernen, was Inklusion bedeutet und wie man sie beim Klettern umsetzen kann". Dafür stehen die Klettertrainerinnen im regelmäßigen Austausch mit anderen Vereinen und Organisationen, die sich inklusive Sportangebote als Ziel gesetzt haben. Mittlerweile leitet das Team vier inklusive Klettergruppen von Kindern und Erwachsenen in Gilching. Auch zwei Kinder aus der Ukraine haben zeitweise mitgemacht, da lief die Kommunikation dann im wahrsten Sinne des Wortes mit Händen und Füßen ab.

"Das Inklusive bereichert uns sehr und ist ganz normal geworden hier bei uns in Gilching", sagt Urban-Schurz. So wartet der Mitarbeiter an der Kasse des Kletterzentrums ganz geduldig, bis Christoph einen Euro Leihgebühr für seine Kletterschuhe aus dem Geldbeutel fischt - heute ausschließlich in Bronzemünzen. Christoph hat das Down-Syndrom und ist mit großer Begeisterung dabei. "Es ist erstaunlich, wer alles klettern kann" lautet das Fazit von Urban-Schurz nach fast vier Jahren Erfahrung, und Klotz stimmt ihr zu: "Alle Kinder schaffen es zu klettern, egal mit welchen Voraussetzungen sie zu uns kommen. Jeder kann etwas erreichen in seinem Niveau."

Und so motiviert sie Christoph, der über ihr an der Wand hängt und nach unten ruft, es gehe nicht weiter, mit den Worten: "Doch das geht!". Und es geht. Natürlich gibt es manchmal Grenzen, seien es zu wenige Sitzgelegenheiten in der Halle für Pausen oder die Schwierigkeit, als Mensch mit Einschränkungen andere zu sichern - Herausforderungen zählen zum inklusiven Klettern dazu.

Sport: Vier Routen im Kletterzentrum des Alpenvereins sind speziell gekennzeichnet.

Vier Routen im Kletterzentrum des Alpenvereins sind speziell gekennzeichnet.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Schwierig ist es für Klotz manchmal, die passende Balance zu finden und keines der Kinder zu über- oder unterfordern. So passt sie Spiele an das Niveau der Gruppe an und achtet darauf, dass alle Kinder gleichermaßen gefordert werden. Beim Katz-und-Maus-Spiel im Boulderraum zum Beispiel muss Fabi krabbelnd die Katze spielen, damit er die anderen Kinder nicht zu schnell fängt. "So hat er sozusagen sein Handicap", schmunzelt Klotz.

Sich in Menschen mit Beeinträchtigungen leichter hineinversetzen zu können, ist Teil der Spezialausbildung unter dem Titel "Klettern für Menschen mit Behinderung". Dafür versuchen die Trainerinnen und Trainer beispielsweise, blind oder mit Gewichten an den Beinen zu klettern, um selbst zu fühlen, wie anstrengend das Klettern mit Muskelschwäche ist. "Muskelkids" nennt Klotz diese Kinder liebevoll und erzählt von einem Jungen aus einem ihrer Kurse, der nur mit Hilfe gehen kann, aber alleine klettert.

Sport: Die Trainerin Lena Klotz sichert den zehnjährigen Jan.

Die Trainerin Lena Klotz sichert den zehnjährigen Jan.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)
Sport: Die 14-jährige Nina hat es bis ganz nach oben geschafft.

Die 14-jährige Nina hat es bis ganz nach oben geschafft.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)
Sport: Suree und Fabi hängen kopfüber an der Kletterwand. Passieren kann ihnen nichts, denn sie sind mit Klettergurt und Seil gesichert.

Suree und Fabi hängen kopfüber an der Kletterwand. Passieren kann ihnen nichts, denn sie sind mit Klettergurt und Seil gesichert.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, Sport zu machen wie alle anderen auch, das ist einfach toll und macht unglaublich viel Spaß", sagt die Trainerin. Das Klettern gebe den Kursteilnehmern mit und ohne Behinderung die Möglichkeit, Erfolgserlebnisse zu haben: Wenn Nina zum ersten Mal eine Route im oberen sechsten Schwierigkeitsgrad geschafft hat und strahlend ihre Füße wieder auf dem Boden setzt. Oder wenn Fabi stolz zeigt, dass er drei verschiedene Kletterknoten beherrscht.

Insgesamt vier Inklusionsrouten gibt es im Kletterzentrum in Gilching. Sie sind eigens ausgezeichnet und beinhalten eine größere Anzahl an Griffen, außerdem einen guten Starttritt. Fabi fallen die Hinweise auf die speziellen Routen erst heute auf, und er fragt neugierig nach den Unterschieden zu anderen Routen. Ob diese nun als inklusiv gekennzeichnet sind oder nicht, spielt für die Kinder keine Rolle. Sie klettern und zwar jede und jeder auf seine Art: Christoph bunt gemischt, Nina blau. Eine Route hat jeweils Griffe in einer Farbe. Und während Constantin Hilfe mit dem Sicherungsgerät bekommt, turnen Suree und Fabi akrobatisch an der Wand. Die Trainerinnen sind ein eingespieltes Team und haben auf alle einen Blick, denn es geht - wie üblich bei Kindern - sehr lebendig zu.

Auch dem jüngsten Teilnehmer verschafft das Klettern neues Selbstbewusstsein

Jan ist der jüngste der Gruppe und erst seit Ostern mit dabei. Seine Mutter Swantje Leippi hatte sich über den frei gewordenen Platz in der Warteliste sehr gefreut, nachdem Muskelspezialisten das Klettern für ihren Sohn empfohlen hatten. Jan hat eine frühkindliche Hirnschädigung und dadurch bedingt motorische Probleme. Seine Mutter erklärt, wie schwierig es ist, für ihn eine Sportart zu finden: "Wir hatten einiges versucht, auch Schwimmen. Aber da hieß es, er sei nicht leistungsfähig genug." Leippi klagt darüber, wie wenige inklusive Angebote es im Landkreis gebe, denn damit sei auch verbunden, dass Jan mit seinen zehn Jahren nur wenige Hobbys hat und kaum Gruppenerfahrung. "All das, was für andere Kinder in dem Alter selbstverständlich ist."

Jan sei dank des Kletterkurses selbstbewusster geworden, denn er könne "einfach mitmachen". Wenn er die 13 Meter hohe Wand hinaufklettert, merkt man ihm seine Beeinträchtigung kaum an. Nur beim Binden des Kletterknotens tut er sich noch schwer, es schult aber auch gleichzeitig seine Feinmotorik. "Zu!", ruft er das professionelle Kletter-Kommando herab, als er ganz oben an der Wand angekommen ist. "Zu!" ruft ihm Christoph von unten bestätigend zu und lässt Jan langsam wieder Richtung Boden ab.

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