Süddeutsche Zeitung

Infektion:Der Fuchsbandwurm ist eine vergessene Gefahr

Im Würmtal und im Isartal schien der Parasit besiegt. Die TU München legte dort Impfköder aus. Doch das Projekt wurde wieder eingestellt.

Von Claudia Wessel

Alveoläre Echinokokkose heißt die Krankheit, die der Mensch durch das Essen von Fuchsbandwurmeiern erwerben kann, und wer sie hat, hat ein großes Problem. "Nach 15 Jahren ist die Leber im Eimer", sagt Andreas König, Leiter der Arbeitsgruppe Wildbiologie und Wildtiermanagement an der Technischen Universität (TU) München und seit 1998 in Sachen Fuchsbandwurm in enger Zusammenarbeit mit Grünwald und anderen Isartalgemeinden; auch im Würmtal hat er über Jahre versucht, den Parasit zu bekämpfen. Die Leber wird ohne Behandlung von den sich vermehrenden Metazestoden, die sich zu 90 Prozent in diesem Organ niederlassen, zerstört. Man bemerkt von der Krankheit nichts, bis es zu spät ist. Allerdings: "Bei 90 Prozent der Menschen, die die Eier aufnehmen, passiert nichts", kann König beruhigen.

Bei den Erkrankten aber wachse das "wie ein Krebsgeschwür infiltrativ durch das ganze Organ". Ist die Leber zerstört, ist das Leben des Patienten am Ende. Zwar könne man heutzutage durch schwere Medikamente die Ausbreitung im Körper eindämmen, so König, diese Medikamente aber wiederum zerstörten langfristig die Organe und sorgten für Organversagen. Immerhin: "Früher waren 95 Prozent der Betroffenen zehn Jahre nach der Diagnose tot, heute leben noch 95 Prozent."

Aber wer isst schon Fuchsbandwurmeier? "Das kann ganz leicht passieren", sagt König. Nehme man etwa an, ein Fuchs leckt sich am Anus und danach sein Fell und streift dann an Gartenpflanzen entlang, die der Mensch isst. Oder er hinterlässt Bandwurmeier in einer Gartenecke, zu der sich auch das Haustier der Besitzer hingezogen fühlt. Später wird es gestreichelt, dann ein Apfel gegessen - schon ist es passiert. "Haustiere und Gartenarbeit sind Risikofaktoren", warnt der Experte.

Ein Fuchs im Garten? Tatsächlich gibt es sogenannte Stadtfüchse. Sie begeben sich nicht in den umliegenden Wald. Anders als Waldfüchse. Diese interessieren sich König zufolge nicht für das Leben in menschlichen Siedlungen.

Seit 2001 konnten Gartenbesitzer, was den Fuchsbandwurm betrifft, in vielen Isartalgemeinden und später auch im Würmtal ruhig schlafen. Die Füchse wurden durch ausgelegte Köder entwurmt. Das geschah im Rahmen eines Forschungsprojekts der TU unter Leitung von König. Die Idee dazu hatte seinerzeit die Grünwalder Ärztin und CSU-Gemeinderätin Christine Paeschke.

Grünwald war die erste Gemeinde, in der das Projekt erprobt wurde. 1998 war zunächst der Fuchsbestand festgestellt worden. Dazu stellte man Fallen auf, fing zahlreiche Tiere und stattete sie mit Sendern aus. So konnten ihre Wege durch Grünwald verfolgt werden. Die Testfüchse bewegten sich mitten durch den Ort, saßen nicht selten in Sandkästen von Kindertagesstätten, wie König erzählt. Oder sie streiften durch Gärten.

Von 2001 an wurden die Köder ausgelegt. Die Ergebnisse waren schnell sehr gut. "Wir waren auf Null", sagte Bürgermeister Jan Neusiedl (CSU) in der jüngsten Sitzung des Verwaltungsausschusses, in der König von dem Fuchsbandwurmprojekt berichtete. Das heißt: Alle toten Füchse, die von 2001 bis 2013 in Grünwald untersucht wurden, waren frei vom Fuchsbandwurm, es bestand also keine Gefahr.

Diese Sicherheit besteht inzwischen nicht mehr. Denn seit vier Jahren werden keine Köder mehr ausgelegt. Eine Information, die auch am Bürgermeister vorüberging. "In der Konsequenz habe ich nicht gewusst, dass nicht mehr geködert wird", räumt Neusiedl ein. Er sei der Meinung gewesen, dass TU-Mann König, mit dem die Gemeinde 2015 einen neuen Kooperationsvertrag unterschrieben hatte, die Dinge erfolgreich regele. Wie König jetzt berichtete, findet sich jedoch kein Hersteller mehr für die Köder. So ist etwa dem Pharmakonzern Bayer die Anzahl der benötigten Köder zu gering. Grünwald benötigt im Jahr nur 2000 bis 3000. Insgesamt kamen während der Forschungsprojekte in Grünwald, Pullach, Baierbrunn, Schäftlarn, Icking, Krailling, Planegg und Neuried sowie Starnberg, Pöcking, Seefeld, Herrsching und Andechs mehr als 500 000 Köder zusammen. Doch auch das ist der Pharmaindustrie laut König zu wenig.

"Anfangs hat Bayer das unterstützt, damit aber kein Geld verdient", sagt der Wissenschaftler. Als die Verantwortlichen bei Bayer wechselten, habe man die Zusammenarbeit gekündigt. "Betriebswirtschaftliche Faktoren haben in der Entscheidungsfindung lediglich eine untergeordnete Rolle gespielt", erklärt Bayer-Pressesprecher Erwin Filter. "Neben dem wissenschaftlichen Interesse war - im Falle des nachweislichen Bedarfs für ein derartiges Medikament (Fuchsköder) - ein weiterer Beweggrund für unsere Unterstützung, über Zwischenstufen im Projektfortschritt eine behördliche Zulassung zu erlangen." Dies sei jedoch unter anderem an einer "komplizierten Zulassungssituation" gescheitert. 2015 hatte man laut König fast schon einen Vertrag mit einer anderen Firma. Doch auch die sagte wie einige weitere ab.

Im Umweltamt der Gemeinde habe man dies gewusst, erklärt Neusiedl. Bis zu ihm sei die Information aber leider nicht durchgedrungen. So sei er ebenso wie die Gemeinderäte zwei Jahre lang davon ausgegangen, dass weiter geimpft wird. Von dem Impfstopp erfahren hat Neusiedl nach eigenen Worten durch den Hinweis eines Bürgers. Daraufhin habe er König in den Verwaltungsausschuss einbestellt. Auch Pullach hat den TU-Fachmann mittlerweile kontaktiert. Aus den anderen Gemeinden des Pilotprojekts gab es bisher keine Anfrage. Grünen-Gemeinderätin Ingrid Reinhart beklagte im Verwaltungsausschuss, die vergangenen Jahre sei fälschlich Entwarnung gegeben worden.

Laut König wäre es kein Problem, den Wirkstoff Pratziquantel zur Entwurmung zu erwerben. Doch diesen in Köder für Füchse einbringen, dürften laut Arzneimittelgesetz nur Hersteller. Seit vier Jahren ist Andreas König auf der Suche nach einem, der auch geringe Stückzahlen produzieren würde. Eine Hoffnung hat König: Möglicherweise entscheidet sich die Landeshauptstadt München für Köder. Seit Frühjahr 2017 ermittelt die TU in der Stadt die Befallsrate mit Fuchsbandwurm. Sollte auch München sich für eine Entwurmung entscheiden, könnte sich schneller ein Hersteller finden lassen.

Trotz allem ist die Fuchsbandwurmgefahr in Grünwald nach Einschätzung von König zurzeit nicht übermäßig hoch. Denn wegen einer Räude-Epidemie, der in den vergangenen Jahren viele Füchse zum Opfer fielen, gebe es momentan nur sehr wenige Tiere. "Es wurde seit langem kein toter Fuchs mehr gefunden", so König. Somit konnte man auch seit langem keinen mehr auf den Bandwurm testen. Die Anzahl der Tiere werde aber in etwa drei Jahren sicher wieder zunehmen, erwartet der TU-Wissenschaftler, dann könne sich auch das Risiko wieder erhöhen. 1998 beispielsweise gab es 30 bis 40 Füchse pro Quadratkilometer, aktuell schätzt König ihre Zahl auf etwa vier bis fünf pro Quadratkilometer. Insgesamt sei die Population der Füchse in Deutschland gestiegen. Ein Grund ist die Impfung gegen Tollwut seit den Neunzigerjahren. "Aber auch abgesehen davon wäre die Population sicher gestiegen", so König. "Die Füchse haben einfach bessere Lebensbedingungen als früher."

Deshalb gilt nun wieder im Würmtal und im Isartal: Man sollte nach Gartenarbeit und Haustierstreicheln gut Hände waschen. Abgetötet werden die Eier erst ab 70 Grad Celsius. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann sein Blut auf Antikörper testen lassen. König macht das regelmäßig. "Man hat dann die Chance, Leberschäden rechtzeitig zu behandeln. Das ist besser, als zu warten, bis man krank wird."

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SZ vom 14.03.2018
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