Theater am Ammersee:Wenn Zuschauer zu Schauspielern werden

Überraschungen für Theatergäste

Eine Inszenierung voller verblüffender Momente: Eine "Bäuerin" (Claudia Stender, rechts) doziert im Summerpark über Kartoffelanbau.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Aufführung "Die blondierte Stierin" strotzt vor Einfallsreichtum und skurrilen Bildern. Das Publikum sollte auf Überraschungen gefasst sein.

Von Armin Greune

Es könnte eine Art Teambuilding-Training sein, um das Gruppengefühl der Firmenmanager zu stärken. Vielleicht handelt es sich aber auch um eine dubiose Sekte oder um den Ammersee-Ausflug einer ansonsten geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses, so ähnlich wie in "Einer flog über das Kuckucksnest"? 15 auffällig ausstaffierte Personen sind am Uttinger Bahnhof gerade dem Zug entstiegen: Sie tragen weiße Umhänge, die mit einem QR-Code bedruckt sind, Gummistiefel und riesige Schaumstoffhandschuhe, mit denen sie am Bahnsteig den übrigen Fahrgästen fröhlich zuwinken. "Was seid ihr denn für eine Truppe?", fragt einer. "Das finden wir noch 'raus", antwortet ein Weißkittel, vielleicht zu zuversichtlich.

Überraschungen für Theatergäste

Das verkleidete Publikum stellt die übrigen Fahrgäste am Schondorfer Bahnhof vor Rätsel.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Sachlich korrekt wäre gewesen, wenn man sich als Publikum einer höchst unkonventionellen Theateraufführung zu erkennen gegeben hätte. "Die blondierte Stierin" heißt das Spiel, das der in Utting aufgewachsene Schauspieler Luis Lüps mit seiner Frankfurter Kollegin Elisabeth-Marie Leistikow geschrieben und inszeniert hat. Gemeinsam mit den am Ammersee lebenden Bühnen- und Kostümbildnern Louis Panizza und Erwin Kloker bilden sie das Performance-Kollektiv ELLE, das schon 2017 in Schondorf mit "Erleuchthund" Aufsehen erregte.

Was erzählt man von einem Event, der vom Überraschungseffekt für die teilnehmenden Zuschauer lebt? Allzu viel soll hier nicht verraten werden, aber es geht um Kartoffelkäfer und Kühe, Supernovae und außerirdische Reptiloiden, Verantwortung für sich selbst und die Schöpfung. Es geht um nicht weniger als "das Leben, das Universum und den ganzen Rest", um Douglas Adams zu zitieren. Dessen "Per Anhalter durch die Galaxis" könnte wie Monty Python's "Leben des Brian" ein Pate der blondierten Stierin gewesen sein. Vor allem aber geht es um den Heidenspaß, den das Ganze Protagonisten und Publikum bereitet, das auch mal selbst mit Hand anlegen muss, um die Handlung voranzubringen.

Die als Stationentheater angekündigte Aufführung ist eher ein "Begegnungstheater": Es konfrontiert die Zuschauer immer wieder mit verblüffenden Situationen, die Zweifel aufkommen lassen, ob es sich um Zufall oder Absicht, Realität oder Spiel handelt. War der Fragende am Bahnhof nicht doch Teil des Ensembles? Da entpuppt sich eine neugierige Passantin als ehemalige Landwirtin (Claudia Ständer), die im Summerpark angeblich Schweine gehalten haben will. Zwei Musiker im Hintergrund (Noel Riedel und Luis Behnke) erweisen sich als treue Begleiter des Trosses. Die Mutter mit den beiden Kleinkindern auf dem Steg hingegen scheint angesichts der UFO-ähnlich im See drapierten Braut (Zora Thiessen) ehrlich erstaunt. Aber was ist mit dem Radler, der das irre Geschehen ausdauernd, aber aus sicherer Distanz mit dem Handy filmt?

Überraschungen für Theatergäste

"Produktionsleiterin" (Elisabeth-Marie Leistikow, rechts) und "Touristin" (Lena Albrecht) geraten bei der Debatte über explodierende Sterne in Ekstase.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wenn man im Nachhinein die zweieinhalb Stunden Revue passieren lässt, wird erst klar, wie ereignisreich, wie vollgepackt mit unverhofften Wendungen das Programm war. Dabei kam während der Vorstellung immer wieder das Gefühl der Entschleunigung auf, etwa wenn das Publikum erwartungsvoll zu Beginn in der Schondorfer Bahnhofshalle oder zum Finale im Uttinger Bahnschuppen beieinander saß. Wo es dann mit einem Drink belohnt wurde, der auf eine Weise serviert wird, die jedem im Gedächtnis bleiben wird. Wie auch so manche Szenenbilder einer in jeder Hinsicht einfallsreichen Inszenierung: Der Kampf, den die Fremdenführerin (Leistikow) mit dem Lasergewehr gegen den Unhold (Lüps) führt, ein Maurerdekolleté über Glitzerbadehose, biblische Gestalten, die plötzlich mit exotischem Lasttier die Eduard-Thöny-Straße entlangkommen.

Wer das tolle Spektakel miterleben will, muss sich ranhalten: Bis zum 12. August werden nur noch 90 Karten verkauft. Beginn ist täglich um 16.50 Uhr im Bahnhof Schondorf; verbindliche Kartenreservierung unter Telefon 0160/7835 048.

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