Im Marstall:Wie viel Querdenkertum steckt drin?

Superfluid Violett Ultra im Marstall Berg

FFP2-Masken sehen anders aus: Mit einer Performance im Garten ist die Ausstellung der Gruppe "Superfluid Violett Ultra" in Berg eröffnet worden.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eine umstrittene Kunstaktion beschäftigt auch nach dem Abbruch noch viele in der Gemeinde Berg - vom Pfarrer bis zum Bürgermeister

Von Gerhard Summer

Der eine bedankt sich für die Klarstellung, andere fragen sich, ob es jetzt schon Vorschriften dafür gebe, was Kunst ist. Oder meinen: "Das ist die Zensur von Kunst, die gegen Zensur von Kunst Stellung bezieht." Der evangelische Pfarrer Johannes Habdank wiederum findet es zu billig, wie mit den Ausstellern umgegangen werde. Denn letztlich sollte es um ihre Werke gehen, unabhängig von der "scheußlichen Ideologie", die dahinter stecke.

Auf der Homepage der Berger Wählergruppierung QUH ist es nach dem Eklat im einst königlichen Pferdestall Marstall zu einer Debatte darüber gekommen, wie weit Meinungsfreiheit in Zeiten von Corona geht. Im Zentrum steht die Frage, ob es sein kann, dass eine Initiative, die QUH-Kulturreferent Andreas Ammer, "klar der Querdenker-Szene" zuordnet, ihre Thesen in einem gemeindeeigenen Kunsthaus verbreiten darf. Am vergangenen Freitag hatte die QUH nach der "Lektüre des Programmes, der Biografien und der Manifeste" den Hinweis in ihrem Blog auf die seit einer Woche laufende Schau der Gruppe "Superfluid Violett Ultra" und auf ein Festival von "Kunst ist Leben" im Berger Marstall gelöscht. Tags darauf brach Kulturmanager Erich Höhne, der Pächter des Anwesens, das Wochenendfest mit etwa 40 Künstlern ab. Auf dem Programm standen viel klassische Musik, Jazz, Lesungen und die "Vorstellung der Projektidee". Zu den zusätzlich gezeigten Werken gehörten auch Bilder des in Berlin lebenden Malers Rabe Habdank, der in Berg aufgewachsen ist und zuletzt im alten Atelier seines Vaters Walter auf der Maxhöhe ausgestellt hatte.

Höhnes Begründung für den Abbruch: "Die Kulturveranstaltung lief Gefahr, in eine politische Richtung abzudriften entgegen den Absprachen mit den Veranstaltenden. Da dies weder meiner Vorstellung noch meiner politischen Haltung und auch nicht den Absprachen entsprach, wurde das Event abgebrochen und die Gäste entlassen. Das Event am Folgetag wurde ebenfalls komplett gecancelt. Auf Grund der Aufräumarbeiten kann auch die Kunstausstellung nicht mehr besichtigt werden", teilte er am Sonntag schriftlich der SZ mit.

Die Gruppe "Superfluid Violett Ultra", die sich "Künstlerkommando" nennt, hatte in ihrer Einladung zur "Rebellion gegen die immer wieder versuchte Unterdrückung der Kunst durch das Kulturzuchtprogramm" aufgerufen. In einem auf Facebook veröffentlichten Manifest gehen die Maler und Bildhauer noch weiter: "Die heutige Vereinnahmung der Kunst ist vergleichbar mit der Deklaration der 'entarteten Kunst'", schreiben sie. Ein Statement, das Geschichtsklitterung ist und die Nazi-Opfer verhöhnt. Die Kölner Schauspielerin, Autorin und Malerin Philine Conrad wiederum, eine der Gründerinnen der deutschlandweiten Initiative "Kunst ist Leben", hat unter dem Titel "Geistige Gefangenschaft" Gedichte veröffentlicht, in denen es um "Zombies" auf den Straßen geht, deren Gedanken "eingesperrt sind in einer Kiste". Auf der Homepage der Initiative findet sich der Link zu einer Videoreihe, die #allesaufdentisch heißt. Sie gilt als zweite Staffel der Querdenker-Serie "Alles dichtmachen", die FAZ bezeichnete diese mal schlicht als ein "Kessel Schwurbel".

Der Schriftsteller und Fernsehproduzent Andreas Ammer, der Ehemann von Bergs Dritter Bürgermeisterin Elke Link (QUH), hatte eigenen Worten nach auf der Homepage von "Kunst ist Leben" gestöbert und dabei festgestellt, dass die Gruppe "engstens verbandelt" sei mit der von dem Münchner Schauspieler Volker Bruch ("Babylon Berlin") und anderen Künstlern initiierten Gesprächsreihe #allesaufdentisch. "Das sind quasi dieselben Leute", sagt Ammer. Und bei aller "Sympathie für übertreibende Künstler - manche Sachen gehen halt gar nicht". Nach der Lektüre sei ihm "mulmig im Magen und schwer auf der Brust" geworden. Sein Eindruck: Die Querdenker wollten die Kunst und das im Marstall angekündigte Festival "nur als Vehikel benutzen". Erich Höhne habe eine unruhige Nacht verbracht, sagt Ammer, und sei wohl auch erschrocken über die "Verlautbarungen, die es gab". Am Samstag jedenfalls entschloss er sich dazu, alles einen Tag früher abzubrechen. Denn: "Die Veranstaltung 'Kunst ist Leben' hat keinen Bezug zur inhaltlichen Ausrichtung des Veranstaltungsortes Marstall am See und seinem Betreiber", schrieb er der QUH.

Wie der Berger Bürgermeister Rupert Steigenberger sagt, sei es Höhnes Recht als Hausherr gewesen, das Festival zu canceln. Steigenberger selbst, so sagt er, sei weder "im Vorfeld noch danach" über den ungewöhnlichen Abbruch informiert worden. Dass Querdenker in einem kommunalen Anwesen auftreten, freue natürlich keinen Bürgermeister, so der Rathauschef weiter. Er hätte sich gewünscht, dass Höhne sich "vorher informiert, wer kommt". Natürlich sei es nicht ungefährlich, die Kunst zu beschneiden, "auch wenn sie nur ein Deckmantel ist". Zumal es Querdenkern einzig darum gehe, zu provozieren und so mehr Öffentlichkeit zu bekommen. Unabhängig vom Kontext hält Steigenberger aber eine riesige Skulptur des "Superfluid"-Mitstreiters Tilmann Krumrey für interessant: das Werk "Kain und Abel", das seit etwa einem Jahr im Marstall-Garten steht. Krumrey zeigt die beiden als verschmolzenes, zweiköpfiges Wesen, Kain zielt mit einem Stein in Richtung seines Bruders. Steigenberger versteht das als "Allegorie auf alles, was derzeit stattfindet: Ich kann nichts tun, ohne mir selbst etwas anzutun. Keiner geht als Gewinner aus solchen Geschichten hervor".

Die Violinistin Marta Murvai, die zusammen mit Philine Conrad "Kunst ist Leben" gegründet hat, teilte auf Anfrage mit: Sie sei derzeit auf Reisen und könne erst in den nächsten Tagen ausführlich Stellung nehmen.

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