Süddeutsche Zeitung

Im Landkreis:Finger in die Wunden

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Die Arbeitsgemeinschaft für Behindertenfragen hat viel erreicht, um das Leben von Menschen mit Handicap zu verbessern - und sie will auch in Zukunft nicht lockerlassen

Von Sabine Bader

Rauschend kann es kaum sein, das Geburtstagsfest der Arbeitsgemeinschaft für Behindertenfragen (Arge), schließlich muss es wegen der Corona-Pandemie so gut wie ohne Gäste auskommen. Und ein Jahr zu spät ist es obendrein. Gefeiert wird jetzt also 40 Jahre plus eins. Dafür ist die Feier aber hochprofessionell aufgezogen: Sie findet - getaucht in stahlblaues Scheinwerferlicht - im Groundlift-Studio in Stegen am Ammersee statt. Und das Livestream-Event wird direkt nach Hause in die Wohnzimmer der Gäste übertragen und für Gehörlose auch in Gebärdensprache übersetzt.

Der Weg, den die Arbeitsgemeinschaft in den vergangenen 41 Jahren zurückgelegt hat, war geprägt von vielen kleinen Errungenschaften im lokalen Bereich, aber auch von herben Rückschlägen. Den ersten erlebte die Arge bereits in ihrem Gründungsjahr 1980: Die langjährige frühere Arge-Chefin Petra Veronika Seidl rief den Festgästen noch einmal das, wie sie sagte, "schändliche Frankfurter Urteil" in Erinnerung, in dem einem Urlaubsgast ein Preisnachlass gewährt worden war, nur weil Menschen mit Behinderung im selben Hotel wie er logierten. Das Urteil hatte damals eine Welle der Empörung ausgelöst. Aber gleichzeitig auch die Bedürfnisse der Menschen mit Handicap mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt.

Laut Seidl hat die Arge nach ihrer Gründung sehr schnell den Dialog mit den Betroffenen im Landkreis gesucht. Man habe auch den Kontakt zum Kreisjugendring aufgenommen, Ferienprogramme inklusiver gestaltet, Fahrdienste aus der Taufe gehoben, Gehsteige abgesenkt, sich um behindertengerechte Zugänge zu öffentlichen Gebäuden gekümmert und vieles mehr. Es sind die kleinen Fortschritte, die im Alltag die Arbeit der Verantwortlichen prägen. Sie fallen nicht immer besonders auf, aber sie sind für die Betroffenen wichtig. Dass es heute mit Maximilian Mayer einen hauptamtlichen Behindertenbeauftragten im Landkreis gibt, zählt sicher zu den nennenswerten Errungenschaften der vergangenen Jahre und auch, dass die Arge in allen Kreisgremien Antrags- und Rederecht hat.

Leicht war es für die Akteure der Arge nicht immer, das weiß auch Landrat Stefan Frey (CSU). Der Weg sei "mühsam und steinig" gewesen, sagt er in seinem Grußwort vor laufender Kamera. Und er habe Kontinuität und Durchhaltewillen erfordert. Als ein Beispiel für Kontinuität nannte er auch die Tatsache, dass die Arge in den 40 Jahren bislang nur drei Vorsitzende gehabt habe: die 2007 verstorbene FDP-Politikerin Ingeborg Bäss, Petra Veronika Seidl und jetzt den Weßlinger SPD-Gemeinderat und Musiker Claus Angerbauer.

Frey sieht in der Arge heute einen Berater und Begleiter politischer Prozesse, "der immer wieder den Finger in die Wunde legt". Schlicht einen "Partner aus der gelebten Praxis". Und er fordert die Akteure des Arbeitskreises auf: "Piesacken Sie mich! Seien Sie lästig!" Das ließen sich die Verantwortlichen nicht zweimal sagen. Nach den Klängen einiger Songs von Angerbauer, einer Kabaretteinlage von Robert Rollinger und einem symbolisch angeschnittenen Geburtstagskuchen, bekräftigte sie unisono: "Herr Frey, wir nehmen Sie beim Wort!"

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SZ vom 25.06.2021
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