Süddeutsche Zeitung

Humor-Festival in Bernried:Großer Coronator, kleiner Hüftschwung

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Gerhard Polt und die Well-Brüder mokieren sich bei ihrem Auftritt wie gewohnt über die Mächtigen und die kleinen Spießer. Neu ist, dass ihre Nummern durch Corona endgültig zu Realsatire geworden sind

Von Katja Sebald, Bernried

"Humor ist Notwehr gegen alles, was man nicht ändern kann", sagt Christoph Well am Ende dieses vom Vollmond beschienenen Abends im Klosterhof. Als da wären: der Tod, die CSU, der FC Bayern und das Virus. Der Auftritt von Gerhard Polt und den Well-Brüdern beim Bernrieder Humorfestival war jedoch deutlich mehr als Notwehr. Nach der langen Durststrecke war er pure Spielfreude und wunderbare Musikalität. Ein Beispiel dafür, wie man mit ausgezeichneter Organisation und entspannter Freundlichkeit auch unter Hygieneauflagen Kultur machen kann. Und vor allem eines: Ein scharfsinniges Panoptikum unserer auseinanderfallenden Gesellschaft nach eineinhalb Jahren Pandemie, dargeboten von den Großmeistern des bayerischen Kabaretts.

Bei weitem nicht alles ist neu an diesem Jubiläumsprogramm, das zum vierzigjährigen Miteinander von Polt und den Well-Brüdern entstand und nun im 41. Jahr zur 901-Jahrfeier von Bernried zur Aufführung kam. Aber manches, was früher vielleicht allzu überspitzt daherkam, ist jetzt auf bedrückende Weise Realsatire geworden: Nachbarn, die sich hinter ihren hohen Thujenhecken ausspionieren, und Nachbarn, die übel beschimpft werden, weil sie sich im Garten schneuzen. Im monatelangen Lockdown ist alles möglich. Gesinnungsgrattler und ganz normale Deppen, Connaisseure und andere Gscheidhaferl, Maskendealer und die übrigen Geißeln der Menschheit - die Krise hat sie alle an die Oberfläche gespült. Jeder kennt jetzt jemanden, der sich mit Beaujolais und Foie Gras auskennt, und jemanden, dem Corona und Klimawandel gleichermaßen "scheißegal" sind. Der indische Pfarrer, der Bayern rechristianisieren soll und sich über die "empty churches" echauffiert, hat an Aktualität ebenso gewonnen wie der "Mensch an sich", der sich fragt, wer denn dieses "wir" eigentlich sein soll, er jedenfalls ist es nicht. Neu hinzugekommen sind der große Coronator Söder, der Wieler aus dem Hause Hiob und die Kassandra Lauterbach. Sie alle surfen nach der ersten, zweiten und dritten Welle nun auf einer gewaltigen Dauerwelle.

Das Schönste an diesem Abend aber war, dass es überhaupt weitergeht - man konnte es in allen Gesichtern auf und vor der Bühne lesen. Nach all den Monaten ohne Live-Musik war die Freude über das schier unüberschaubare Instrumentarium der Well-Brüder besonders groß. Von der Flöte über die Tuba bis hin zum "Superspreader" Alphorn, von der Geige über die Drehleier bis zum Kontrabass war wieder alles dabei und wurde von Christoph, Michael und Karl Well mit Hingabe bearbeitet. Wie erfreulich, dass sie auch die Nummer mit Schuhplatter, Bauchtanz und Highland-Dance noch beherrschen und dass auch Gerhard Polt, der unumstrittene König des Weglassens, seinen Minimal-Samba-Hüftschwung noch drauf hat.

Diesmal war es ernst gemeint, dass sie sich beim "tollsten, gescheitesten und bestangezogenen Publikum der letzten eineinhalb Jahre" bedankten. Diesmal war es ebenso ernst gemeint, dass dieses Publikum sie gar nicht mehr weglassen wollte und eine Zugabe nach der anderen forderte. Und ernst gemeint ist auch der Anspruch dieses wunderbaren Festivals, dass mit Humor eben alles leichter ist.

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Quelle:
SZ vom 24.07.2021
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