Ob sie im Fünfseenland nun wandern, schwimmen, spazieren gehen, radeln oder segeln - eins verbindet fast alle Ausflügler und Urlauber in der Region: Unterwegs knurrt mindestens zweimal am Tag der Magen, auf jeden Fall mittags und noch einmal am Abend. Dann beginnt die Sucher nach der nächsten Gelegenheit zur Einkehr. Die Biergärten, Berghütten und Imbissbuden füllen sich dann rasant. Ein frisch gebrutzeltes Schnitzel, eine eiskalte Apfelschorle - und wenn's geht, gerne mit ungestörtem Blick auf den See oder in die Berge. Das wollen eigentlich alle - vor allem zu dieser Jahreszeit, vor allem jetzt nach zwei Jahren coronabedingter Einkehreinschränkungen.
Aber für diese Menge an Schnitzelbestellungen ist auch eine Menge Personal nötig - von der Köchin über den Kellner bis hin zum Tellerspüler. In diesem Bereich gibt es derzeit aber dramatische Engpässe. Die Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung im Landkreis Starnberg (GWT) spricht von einem "eklatanten Fachkräftemangel in der Gastro- und Hotelleriebranche". 71 Prozent mehr offene Stellen gibt es im Landkreis Starnberg im Vergleich zum Vorjahr laut Statistiken der Bundesagentur für Arbeit.
"Viele Jahre lang hat die Gastronomie Arbeitskräfte hardcore ausgenutzt, vor allem die auf 450-Euro-Basis."
Die Zahlen der Tages- und Übernachtungsgäste hingegen sind gut, fast "zu gut", findet Werner Schmid, GWT-Sprecher und Leiter der Marketing- und Personalabteilung: "Die Tagestouristenzahlen sind fast so hoch wie in präpandemischen Zeiten." In den Hotelbetten im Freistaat Bayern haben im vergangenen Mai 8,2 Millionen in- und ausländische Touristen geschlafen - so viele waren es seit 2020 nicht mehr. "Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, aber viele Touristen brauchen auch viel Service - und viel Service bedeutet viel Personal", so Schmid. Tim Lünnemann, Geschäftsführer der Nahrung- und Genussgewerkschaft, formuliert es so: "Für viele Hoteliers ist es aktuell einfacher, Gäste zu finden als Mitarbeiter." Wie kann das sein?
Stark betroffen von diesem Personalmangel ist unter anderem das Pfeifferstüberl am Wörthsee. "Wir suchen wirklich händeringend - und das auf diversen Posten", so Sissi Streifeneder, Mitarbeiterin und Freundin des Geschäftsführers Anton Aumiller. Streifeneder ist die einzige Vollzeitangestellte des Betriebs - der Rest arbeitet hier auf Mini-Job-Basis. "Und genau an diesen Mini-Job'lern fehlt es uns derzeit." Jetzt im Sommer zur Ferienzeit würden zwar wieder einige Studenten einen Ferienjob in der "Gastro" in Betracht ziehen, aber im Winter und Frühjahr, als das Studium schwer und die Corona-Infektionszahlen hoch waren, habe das Pfeifferstüberl große Schwierigkeiten gehabt, ihren Schichtplan mit motiviertem Personal zu füllen.
"In der Pandemie, vor allem in den Lockdowns, hat sich gezeigt, dass die Gastro für Arbeitnehmer keine krisensichere Branche ist", sagt Streifeneder. "Viele sind zum Beispiel in den Einzelhandel, in den Supermarkt an die Kasse, gewechselt. Der hatte nie geschlossen, während Gaststätten als Arbeitgeber nicht zuverlässig versprechen konnten, wann man bei uns wieder ein geregeltes Einkommen hat." Wie hätte Streifeneder oder ihr Freund Anton Aumiller das auch versprechen können - bei Lockdowns, dessen Ende oft noch in ferner Zukunft lag. "Wir mussten immer auf Sicht fahren." Jetzt kämen die Gäste zurück, aber die Angestellten nicht.

Das liege nur zum Teil an Corona, vermutet Martin Brink, Geschäftsführer des Gasthauses Unterbräu in Dießen. "Viele Jahre lang hat die Gastronomie Arbeitskräfte hardcore ausgenutzt, vor allem die auf 450-Euro-Basis. Aber diese Schüler, Studenten, Auszubildende braucht unsere Branche - sonst kommt sie ins Schwitzen." Für sein Unterbräu betont Brink aber: "Wir haben keinen Mangel an Personal, weil wir die Gehälter über die Jahre immer wieder angepasst haben." Und genau das, so Brink, nämlich die Bezahlung sei der Grund gewesen, warum die Mitarbeiter in der Gastronomie und Hotellerie während der Pandemie so verunsichert gewesen seien. "Heutzutage arbeiten Kellner, Spüler, Köche nicht mehr für jede müde Mark. Sie haben höhere Ansprüche." Brink findet das auch durchaus nachvollziehbar. "Kunden müssen den Wert einer Fachkraft in der Gastro höher schätzen. Wenn sie bereit sind, mehr zu zahlen, können die Arbeitsgeber fairere Gehälter ausgeben und die Qualität der Speisen erhöht sich." Besonders in einer Gegend wie am Ammersee oder am Starnberger See, wo Wohnen und Alltag so teuer seien, müssten Gastrobetriebe ihren Arbeitsnehmern die finanzielle Grundlagen bieten, sich dort das Leben auch leisten zu können, so Brink.
Dass die Mitarbeiter gut entlohnt werden muss, wissen auch die Wirte vom Pfeifferstüberl am Wörthsee. Streifeneder erzählt im Gespräch von den Corona-Boni, welche die Gaststätte ihrem Personal während der Pandemie ausgezahlt hätte: "Der Bonus war steuerfrei, ich hoffe, dass wir damit unseren Mitarbeitern ein wenig aus der Klemme helfen konnten. Sie schienen alle sehr erfreut." Aber vor allem für Kellner gilt natürlich: "Wer vom Trinkgeld gelebt hat, hat das in der Pandemie natürlich zu spüren bekommen. Nicht nur bei uns, sondern grundsätzlich in der Gastro."

Was kann also getan werden, um die Gastronomie- und Hotelleriebranche wieder attraktiver zu machen? Irgendetwas jedenfalls muss wohl getan werden, das findet auch Claudia Aumiller. Sie ist Mitinhaberin des Jaklhofs am Wörthsee und zugleich Starnberger Kreisvorsitzende des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. Sie ist zudem die Mutter von Anton Aumiller vom Pfeifferstüberl "Viele Gaststätten leiden, das ist uns klar. Ich weiß nicht, wie wir dem Ganzen begegnen sollen", sagt Aumiller. Einen Vorschlag machen jetzt ihre Dehoga-Kollegen auf landesweiter Ebene: Die Dehoga und die Nahrungs- und Genussgewerkschaft (NGG) haben im vergangenen März einen neuen Tarifvertrag ausgehandelt, der Hoffnung macht: die Löhne der Arbeitnehmer sollen demnach in den nächsten 24 Monaten um bis zu 27 Prozent steigen, rechnet die Gewerkschaft vor. "Zwar ist klar, dass damit gerade für kleinere Betriebe die Personalkosten steigen," so der NGG-Vorsitzende Tim Lünnemann. Aber anders seien keine Menschen mehr für den Job im Gastgewerbe zu gewinnen.
Die Gewerkschaften und die Dehoga verhandeln, die Gaststätten und Hotels überlegen, tüfteln, rechnen - allen scheint das klar zu sein, was Martin Brink vom Dießener Unterbräu in zwei Sätzen zusammenfasst: "So wie's jetzt ist, kann's nicht bleiben, weil es gibt ganz eindeutig ein Problem." Die Branche befinde sich "in einem längst überfälligen Umbruch" - wohl zugunsten der Arbeitnehmer. "Wenn die nicht mehr wollen, müssen wir Arbeitgeber uns anpassen. Ob ich deshalb schwarz für die Branche sehe? Ganz bestimmt nicht", resümiert Brink.
Wenn die Sonnenterrassen und Bierbänke in den Gaststätten der Region also mal wieder etwas voller werden zur Mittagszeit, wenn alle gleichzeitig Hunger auf Schnitzel und Durst auf Apfelschorle haben, dann heißt es wohl erstmal einfach nur: Geduld haben, Verständnis zeigen, Alpenpanorama genießen. Und wenn sich der neue Tarifvertrag etabliert hat, steht vielleicht auch das Schnitzel wieder schneller auf dem Tisch.
