Homosexualität auf dem Land:Coming-Out auf dem Bauernhof

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Der schwule Landwirt Andreas Deyer (rechts) mit seinem Lebensgefährten auf seinem Hof in Mühlingen. (Foto: Jörg Meier)

Landwirt Andreas Deyer hat lange unterdrückt, dass er schwul ist. Im oberbayerischen Herrsching erzählt er Jungbauern seine leidvolle Geschichte.

Von Marcella Rau, Herrsching

Er ist verheiratet, arbeitet auf dem elterlichen Hof, singt im örtlichen Gesangsverein und engagiert sich im Ehrenamt. Seine Frau und er gelten als Vorzeigepaar, sie streiten eigentlich nie. Man leistet sich ein teures Auto, fährt zweimal im Jahr in den Urlaub. Es ist ein Leben, wie man es im Dorf von seinen Einwohnern gewohnt ist. Aber es ist nicht länger jenes, das Andreas Deyer führen will. Vor 15 Jahren beschließt der heute 50-Jährige aus diesem Leben auszubrechen, indem er öffentlich macht, was er eigentlich schon immer gewusst, aber lange verdrängt hatte: Er ist schwul.

Schwul, als Bauer, auf einem Hof mit 150 Hektar und 150 Kühen, der wie so viele von Generation zu Generation vererbt wurde. Seine Geschichte erzählt der Landwirt aus Mühlingen bei Konstanz an diesem Abend im Haus der Bayerischen Landwirtschaft in Herrsching etwa 40 jungen Teilnehmern des diesjährigen Grundkurses zur Weiterbildung von Landwirten. Viele von ihnen arbeiten wie auch Deyer auf dem elterlichen Hof. Sie hören gespannt zu, wie Deyer erzählt, dass er zwei Jahre mit sich gerungen habe, sich nur heimlich mit Männern getroffen, habe. Bis er es nicht länger aushielt.

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"Ich wollte einfach auch meine Frau nicht länger belügen, da bin ich einfach nicht der Typ dafür", erklärt er. Seine Frau, mit der er sich immer gut verstanden hatte, wenn auch bloß auf freundschaftlicher Ebene, war dann auch die erste, die es erfuhr: "Eigentlich muss sie in den Wochen davor etwas bemerkt haben, aber ein großer Schock war es natürlich trotzdem", erzählt Deyer. Seine Ehefrau versucht zunächst, die Fassade aufrecht zu halten, will erst keine Trennung, auch aus Angst vor den Reaktionen. "Scheidung ist auf dem Land ja schon ein großes Thema, und dann auch noch von einem schwulen Mann." Doch eine Zukunft hat die Beziehung nicht. Die Scheidung folgt unausweichlich.

Der Vater spricht ein halbes Jahr nicht mit ihm

Besonders schlimm für Deyer war jedoch die Reaktion seines Vaters. Ein halbes Jahr haben die beiden nicht miteinander gesprochen, nachdem er es erfahren hatte. Deyers Vater schämt sich für seinen Sohn, geht nicht mehr unter Menschen, weil er glaubt, sich im Dorf nicht länger blicken lassen zu können. Einzig der Umstand, dass sie in getrennten Häusern lebten, habe die Situation halbwegs erträglich gemacht, erklärt der Milchbauer. "Ich hatte natürlich mit dem schlimmsten gerechnet. Mir war völlig klar, dass ich den Hof vielleicht verlassen muss." Eine Annäherung gab es erst, nachdem eine Freundin der Eltern mit seinem Vater gesprochen hatte, ihm versicherte, dass Homosexualität kein Problem sei.

Doch nicht alle Reaktionen aus dem Umfeld fielen derart positiv aus. "Jetzt wo der Andreas schwul ist, kann des mit dem Hof ja nichts werden", hatte der Tierhaltungsberater des Landratsamtes zu seinem Vater gesagt, erinnert sich Deyer. Eine Schwester seiner Mutter fasste ihre Abneigung in drastische Worte. "Schwule? Das sind doch alles Kinderschänder." Schnell sprach sich die Nachricht herum, auch im Freundeskreis erfuhr Deyer wenig Verständnis: Schwul? Nein, das müsse etwas anderes sein, habe es da oft geheißen, erzählt Deyer. "Es klang oft so, als brauche ich nur den richtigen Arzt, als könne mich der dann schon heilen." Der Landwirt wendet sich immer mehr von seinem Freundeskreis ab, sucht zunehmend Kontakte in der Schwulenszene.

Die Gruppe "Gayfarmer" hat bundesweit 400 Mitglieder

Das alles liegt nun 15 Jahre zurück - in denen sich Deyer bei "Gayfarmer" engagiert, einer Berufsvereinigung für Schwule und Lesben in grünen Berufen. Die Interessensgemeinschaft hat bundesweit etwa 400 Anhänger. Gemeinsames Ziel ist die gegenseitige fachliche und persönliche Unterstützung. Deyer ist es ein Anliegen, mit seiner Geschichte ein Bewusstsein zu schaffen. Denn, so der Landwirt, die Gleichberechtigung von Homosexuellen sei inzwischen zwar faktisch erreicht, doch für ihre Akzeptanz müsse man noch immer tagtäglich eintreten, auch wenn sich inzwischen schon vieles gebessert habe.

Über "Gayfarmer" kommt Deyer immer wieder in Kontakt zu Männern, die sich in ähnlichen Situationen befinden, wie er noch vor 15 Jahren. Vielen geht es wie ihm, sie heiraten zunächst, versuchen ein vermeintlich normales Leben zu führen, bis sie es nicht mehr aushalten. Deyer erinnert sich etwa an den Fall eines Landwirtes, der in diesem Winter Rat bei ihm gesucht hatte. "Er ist inzwischen geoutet und happy, aber den passenden Balken im Stall hatte er sich schon ausgesucht." Dass das Bekenntnis zu den eigenen Gefühlen noch immer so viel Angst heraufbeschwören kann, dass sogar Selbstmord eine Option zu sein scheint, schockiert.

Nebenbei ist Andreas Deyer für die Interessensgemeinschaft "Gayfarmer" aktiv. Im Haus der Bayerischen Landwirtschaft in Herrsching wird er interviewt von Simone Schlögel. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Doch tatsächlich weiß Deyer auch von Fällen zu berichten, bei denen wüste Beschimpfungen an Hauswände gesprüht wurden, von Menschen, für die das Leben auf dem Land nach dem Outing nicht mehr erträglich war, die wegziehen mussten. "Oft ist es einfacher, wenn man wie ich bereits etwas älter ist und sich auf dem Hof verdient machen konnte. Dadurch verschafft man sich auf dem Land Respekt."

Die Akzeptanz für Schwule und Lesben auf dem Land wächst, finden die Jungbauern

Die Reaktionen der Jungbauern in Herrsching machen Hoffnung auf eine Zukunft, in der sich auch auf dem Land, wo konservative Strukturen am tiefsten verwurzelt sind, niemand davor fürchten muss, sich zu seiner Sexualität zu bekennen. Von Ablehnung ist wenig zu spüren. "Mein Opa und auch mein Vater würden vielleicht noch anders reagieren, aber für mich ist das überhaupt kein Problem", sagt etwa Henrike Meyer aus Nordrhein-Westfalen. Der Onkel ihrer besten Freundin ist schwul. Auch Lukas Würtenberger, der auf einem abgelegenen Hof im Allgäu lebt, glaubt daran, dass die Akzeptanz für Schwule und Lesben bei der jüngeren Generation auf dem Land deutlich größer geworden ist. "Aber Gesprächsthema wäre eine solche Nachricht auf dem Dorf natürlich schon."

Deyer selbst konnte sein Leben auf dem Land weiter führen. Er bewirtschaftet noch immer den Hof, auf dem er aufgewachsen ist, kümmert sich um sein Vieh. Er ist inzwischen sogar Kreisvorsitzender des gemeinhin als konservativ geltenden Bauernverbandes. Statt mit seiner Frau teilt er sich das Haus heute mit seinen beiden Lebensgefährten, einem Berufssoldaten und einem Landwirt, der selbst auf dem Hof mitarbeitet. Mit seiner Exfrau steht Deyer weiterhin in Kontakt. Sie ist inzwischen wieder verheiratet und Mutter eines Kindes.

Auch die Beziehung zu seinen Eltern hat sich schließlich normalisiert, "auch wenn mein Vater das Wort 'schwul' noch immer nicht in den Mund nehmen will", erzählt Deyer. Immer wieder seien schwule Bekannte auf dem Hof zu Gast. "Wir sitzen dann zusammen, auch mit meinen Eltern. Bei einem Freund, der in Mecklenburg eine Ferienwohnungen hat, haben die beiden sogar schon zweimal Urlaub gemacht." Nur wer den Hof weiterführen wird, das ist noch nicht geklärt. Andreas Deyer hat einen Bruder, der eine Familie hat. "Vielleicht übernimmt ihn mein Neffe, aber es finden sich sonst sicher auch Leute, die einen solchen Hof gerne haben würden." Adoption kommt für Deyer nicht in Frage. "Das wäre mit meinem aktuellen Leben nur schlecht vereinbar."

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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