Süddeutsche Zeitung

Historie:Unbekanntes Buch

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Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdecken Ausflügler und reiche Münchner den kleinen Inninger Ortsteil. Der Heimatgeschichtsverein widmet dem Dorf seine neuesten Geschichtsblätter

Von Patrizia Steipe, Inning

Ein Huhn läuft über die Dorfstraße, im Feld grasen Kühe und auf den Wiesen vor den Häusern lagern Boote. Im Inninger Ortsteil Buch bilden alte Bauernhäuser, herrschaftliche Villen und moderne Einfamilienhäuser eine buntes Nebeneinander. Rund 1000 Einwohner hat das Dorf am Ammersee und sogar einen Anlegesteg für den Dampfer. Der größte Ortsteil der Gemeinde Inning kann auf eine über 1500-jährige Geschichte zurückblicken. Das belegen Reihengräber aus der Merowinger-Zeit. Trotzdem wurde Buch erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Ausflüglern "entdeckt". Davor führten die Hauptwege von Inning, über Seefeld und Andechs nach Süden.

Der Heimatgeschichtsverein Inning hat seinen 13. Inninger Geschichtsblättern deswegen den Titel gegeben "Buch am Ammersee - Lange verborgen und unentdeckt". Zur Jubiläumsfeier des Vereins, am Freitag, 3. Mai, um 19 Uhr, im Inninger Gasthof zur Post wird das 104 Seiten starke Büchlein vorgestellt. Das Redaktionsteam um Jutta Göbber, Horst und Edeltraud Schram, Rudolf Burger, Gabriele Kellerer, Franz Meier und Robert Volkmann hat in Archiven, Behörden und Privatsammlungen eine Vielzahl an Belegen über den Ort gefunden. Das Foto einer Kette aus Glasperlen erinnert beispielsweise an den Fund aus dem 7. Jahrhundert, der 2008 in der Breitbrunnerstraße entdeckt worden war. In Gräbern lagen aber auch Skelette. Die Forscher untersuchten sie und kamen zu der Erkenntnis, dass die früheren Bewohner ein hartes Arbeitsleben mit einseitiger Ernährung hinter sich hatten. Die Folge waren Deformierungen der Wirbelsäule.

Seit dem Mittelalter wechselten immer wieder die Besitzer von Buch, die Familien wurden mitverkauft und mussten für die Grundherren arbeiten. "Magere Wiesen und Böden" erschwerten die Landwirtschaft. Oft mussten die Kinder mithelfen und konnten nicht in die Schule gehen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten die meisten Bauern Hof und Äcker verkauft. Die Grundstücke wurden von reichen Münchnern und Spekulanten gekauft, die am Starnberger See keine geeigneten Grundstücke mehr gefunden hatten. Die Bauernhäuser wichen Sommervillen mit Seeblick und Badehäusern.

Der Land- und Seebote vermerkte: "Innerhalb der letzten zwei Jahre sind in Buch mehrere neue Villen entstanden, die fast sämtlich Eigentümer Münchner Bürger sind". Diese hätten gerne ihre Seegrundstücke abgesperrt, doch der freie Zugang zum See musste gewahrt werden. In einer Resolution gegen eine geplante Seepromenade monierten Grundbesitzer "eine geradezu in ekelhafter und abstoßender Weise zur Schau getragenen Nacktkultur", die Retourkutsche von offizieller Seite kam postwendend: "In Buch haben sich Ereignisse zugetragen, durch welche die Moral manch schweren Stoß erlitten hat. Leider waren dabei auch Landhausbesitzer mit Anhang bis hinauf zu sehr hochgestellten Kreisen beteiligt", wie der Land- und Seeboten 1909 notiert hatte.

Buch war auch Fischerdorf. Die Fischereirechte waren strengen Regeln unterworfen. Die großen Fische mussten abgeliefert werden, nur die kleinen Fische durften die Familien behalten.

Alte Schwarzweiß-Fotografien im Buch zeigen die ehemaligen Hofstellen und davor aufgestellt Buben in kurzen Hosen sowie Mädchen mit Schürzen und barfuß. Eine eigene Schule bekamen die Bucher nach dem zweiten Weltkrieg. Sie existierte bis 1969.

Als Kuriosum zitiert der Heimgeschichtsverein aus einem Schreiben, in dem erwähnt wurde, dass der Schulrat extra aus Starnberg gekommen war, um die Sitzhöhe der Aborte im Schulgarten zu überprüfen. Die Bucher Alm, das Posterholungsheim, die Dorfwirtschaft, Handwerksbetriebe, die alte Mühle, das Schloss, die Gaststätten, die Kapelle und Vereine wie die Feuerwehr, Wasserwacht und die Eisstockschützen - an sie alle erinnert der Heimatgeschichtsverein in seinem neuen Buch.

Die Geschichtsblätter sind in einer Auflage von 450 erschienen. Sie kosten zehn Euro und sind im Schreibwarengeschäft Wanzke, im Café Huttner, bei Optik Wittenberger oder bei Jutta Göbber (08143/1515) erhältlich.

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SZ vom 03.05.2019
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