Süddeutsche Zeitung

Historie:Kleines Urlaubsglück

Noch 1899 bestand Riederau nur aus sechs Häusern. Mit dem Bahnhof begann der Aufschwung als Ferien- und Wohnort. Eine Ausstellung im Schalterraum widmet sich nun der Ortsgeschichte

Von Armin Greune, Riederau

Der Boom dauerte knapp 80 Jahre lang: An Heiligabend 1899 fuhr der erste Zug der Ammerseebahn durch den Weiler, der damals nur sechs Häuser umfasste. Dennoch erhielt Riederau eine Haltestation, die vorerst freilich nur mit einer Wellblechhütte als Empfangsgebäude aufwarten konnte, weil sie vor allem der Holzverladung diente. Doch drei Jahre später wurde die "Bahnhofs-Restauration" als Haus Nummer 8 des Orts eröffnet, mit der eine rapide touristische Entwicklung einsetzte. 1975 fiel das Gebäude der Abrissbirne zum Opfer und wurde zum Parkplatz, wiederum drei Jahre später verlor das Rathaus seine Funktion und die Gemeinde Rieden ihre Selbständigkeit. Seitdem gehören die heute 1500 Einwohner zu Dießen und Riederau ist nur noch der mit Abstand größte Ortsteil der Marktgemeinde.

Das Bahnhofsgebäude wurde 1937 im zeitgemäßen "Heimatstil" errichtet und steht heute unter Denkmalschutz. 2013 erwarb es die Gemeinde Dießen zum Kaufpreis von 35 000 Euro von der Deutschen Bahn. 2015 ließ der Konzern aus Brandschutzgründen Gepäck- und Fahrkartenschalter zumauern. Nach der Renovierung des ehemaligen Schalterraums hat jetzt Stephan Widler, Vorsitzender des Verschönerungsvereins Riederau, die Gelegenheit genutzt und stellt dort Teile seiner privat finanzierte Sammlung zur Ortsgeschichte zur Schau, die inzwischen viele Bücher, Broschüren, Zeitungsartikel, Bilder, Pläne und auch Kurioses über Riederau und den Ammersee umfasst. Für die vor Kurzem eröffnete Dauerausstellung ist nun der Schalterraum mit vier Schautafeln voller alter Fotos, Postkarten und Dokumenten bestückt, die über die Entwicklung der Siedlung Auskunft geben.

Auch die Gründung des Verschönerungsvereins selbst fällt in die Frühphase der ersten Blütezeit: Die Mitglieder nahmen 1902 gleichzeitig mit der Bahnhofs-Restauration die ehrenamtliche Arbeit auf. Damals startete Riederaus Karriere als Fremdenverkehrsort - während das nördlich am Ammersee gelegene Holzhausen, das auch zur Gemeinde Rieden gehörte, gerade zum Künstlerdorf avancierte und sich die sich die ersten dort ansässigen Maler mit Erfolg gegen einen Bahnhof zur Wehr setzten.

Riederau wurde erstmals 1126 als "Riderowe" urkundlich erwähnt, wie der ersten Tafel im Schalterraum zu entnehmen ist. Die ältesten vier Häuser auf der als "Laichäcker" bekannten Flur stammen wohl aus der Zeit um 1560, dazu wurde 1796 die Kapelle Mariahilf als Haus Nr. 5 errichtet. Im Jahr 1900 kam das Landhaus der Familie Curry-Reute hinzu, das heute Denkmalschutz genießt und in dem 1915/1916 der Diplomat und irische Freiheitskämpfer Sir Roger Casement zu Gast war.

Zu den 14 Zimmern der Bahnhofs-Restauration, die 1909 zum Gasthof Dietrich umgetauft wurde, kamen im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts immer mehr Gästebetten dazu. 1916 wurde in Riederau ein Genesungsheim der Inneren Mission gebaut, das spätere "Schwesterheim" wurde 1953 durch den Neubau eines Gäste- und Tagungshauses ersetzt. Etwa um die gleiche Zeit entstand ein paar Häuser weiter auch das evangelische Weggenossenheim, das heute als Jugend- und Familienhaus der Gesamtkirchengemeinde Augsburg dient. Und der Verschönerungsverein trug selbst zur Attraktivität der Sommerfrische bei, als er 1928 den Ausbau des Riederauer Strandbads beschloss: "Rieden dürfte damit die schönste Badeanlage am ganzen Ammersee bekommen", hieß es seinerzeit in einem Bericht der "AZ am Abend". Zu den Feriengästen der vielen privaten Zimmervermietern im Ort kamen damals an Sommerwochenenden noch Tausende Ausflügler, die mit den legendären "Badezügen" aus Augsburg anreisten.

Die zweite Boomphase setzte 1934 ein, als die Nationalsozialisten Riederau zum Wohnsiedlungsgebiet erklärten und in der Folge ein Rathaus als Sitz der Gemeinde Rieden und das heutige Bahnhofsgebäude errichtet wurden. Der Station ist die dritte Schautafel gewidmet. Anstelle der ursprünglichen Blechbude war schon 1902 eine Holzbaracke getreten, die Riederau von Dießen geerbt hatte, als die Reichsbahn dort einen gemauerten Bau errichten ließ. Der Riederauer Bahnhof ist seit 80 Jahren weitgehend unverändert geblieben, auch wenn die Bahn inzwischen Untermieter der Gemeinde ist und nur noch einen Technikraum betreibt. Verschwunden ist freilich das Gemälde an der Südfassade: Unter dem Giebel war ursprünglich ein Fischerboot zu sehen. Es muss wohl in den 1950er-Jahren mit Putz zugedeckt worden sein, als das Haus noch nicht unter Denkmalschutz stand, vermutet Widler: Womöglich ließe sich das Bild sogar wieder freilegen. Gut erhalten ist hingegen eine Wandmalerei im offenen Warteraum, die fünf Badende und drei Segelboote darstellt. Noch ist über das Bild wenig bekannt, doch Widfer und der Verschönerungsverein recherchieren weiter.

Schließlich weist auch der vierte Schaukasten der Ausstellung - der unter anderem auch eine Liste der Riederauer Baudenkmäler enthält - auf Themen hin, die sich noch in Vorbereitung befinden: Die Geschichte des Orts nach 1938, die Historie von Gewerbe und Vereinen sowie Berichte über interessante Bürger. Und auch ein geführter Ortsrundgang wird in Aussicht gestellt: Die Stationen sind bereits in einer Karte auf der Tafel verzeichnet. Widler hofft, den Bahnhof im Lauf der Zeit mit immer mehr Ausstellungstücken schmücken zu können: "Das ist nicht fertig, das wächst weiter." Aber zunächst wird die kleine Dauerausstellung um drei Plakattafeln erweitert, die im Schaufenster des nur wenige Meter entfernten "Gaby's Kaufladen" zu sehen sein werden. Sie informieren über die Geschichte des ehemaligen Hauses Nr. 14, das bis heute ein klassischer Kramerladen geblieben ist.

Die meisten Exponate hat Ridler auf Flohmärkten und bei Internetauktionen, in Archiven und Privathaushalten gefunden. 2007 ist er von Fürstenfeldbruck nach Riederau gezogen, zwei Jahre später trat er dem Verschönerungsverein bei, dem er seit April 2013 vorsteht. Seit heuer ist Ridler auch Zweiter Vorsitzender des Arbeitskreises Heimatforscher des Ammerseegebiets. Der Arbeitskreis war auch an der Organisation der Ausstellung beteiligt, die von der Sparkasse finanziell unterstützt wurde und täglich von 5 Uhr morgens bis ein Uhr nachts zugänglich ist.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2017
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